„Du wirst mich lieben müssen“

■ Thomas Bischoff: Der weise „Nathan“ als Aggro-Lehrstück

Wieder sind es Zwangscharaktere, die der Volksbühner Thomas Bischoff dem Bremer Publikum - nach Kabale und Liebe und Torquato Tasso - auf die Bühne stellt. Er lässt einen verzweifelt-weisen Nathan auf zwei gehirngewaschene Frauen treffen (im süßen Wahn gefangen), denen er mit rauer Stimme Vernunft, aktive Toleranz sowie die Erkenntnis predigt, wie sehr der schlaffste Mensch gern schwärmt, um nicht gut handeln müssen.

An der Christlichkeit seiner Haushälterin Daja beißt er sich jedoch die humanitären Zähne aus: Mit bedrohlich unterspannter Stimme beharrt sie auf ihrem Wert als Christin und darauf, auch Nathans Ziehtochter Recha ihrer Sekte zuzuführen - denn: eine Christin muss aus Liebe quälen, sprich missionieren.

Nicht weniger zwanghaft lässt Bischoff seinen Tempelherrn agieren, ein verstockter Prinz Eisenherz (ich bin ein plumper Schwab'), der eigentlich brennen lassen möchte, was brennt (siehe Kasten), schließlich gelte: Jud ist Jud.

Wie auf der Drehscheibe eines Uhrenspiels wechseln sich neue Figuren für die alten ein, laufen Geraden und rechte Winkel ab, bevor sie sich zum Schlagabtausch aufstellen. Mit kaum drei Handbreit Abstand zwischen den Gesichtern schreien oder zischen sie sich ihre jeweiligen Wahrheiten zu, um sich dann mit einem Geh, geh sag ich zum Teufel zu wünschen.

Völkerverständigung ist eben kein schöngeistiger Diskurs, betont der Regisseur, und Lessings weltumspannende Religionstoleranz (inklusive des Verweises auf die Menschen am Ganges) lässt Bischoff nur als zähneknirschend akzeptierte Friedensprämisse gelten: Sogar Nathan muss sich seine Ring-Parabel (derzufolge jede Religion an ihrer Humanität gemessen werden muss) als gedemütigt Kniender abringen, gehetzt von einem zynischen Sultan – übrigens ein glänzend dynamischer Auftritt von Torsten Ranft, dessen Kreislauf-Kollaps die schon für vorige Woche angesetzte Premiere hatte platzen lassen.

Auftritt, Schmähung, Abtritt, Vernunfts-Appell: Zwei Stunden folgt das Puplikum diesen Lektionen, ohne das Interesse zu verlieren. Denn die Monotonie entfaltet zunehmende Kraft – die es den SpielerInnen gegen Ende sogar erlaubt, langsamer zu werden, Pausen zu setzen, Blicke zu starren. Das Aggressions-Potential im melting pot Jerusalem brodelt immer heftiger, bevor es sich im großfamiliären Finale entlädt.

Lessings allseitige Umarmungen, über die sich ein glücklicher Vorhang senkt, zeigen bei Bischoff einen inzestuösen Aggro-Klan, der geschwisterlich lieben muss, ohne sich zu mögen. Und man spürt: Kein anderer Schluss wäre ernst zu nehmen. Schließlich sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten.

Nur äußerlich verlegt sich Bischoff auf Schematismus: Er und Uta Kala visualisieren das Stück als Drei-Farben-Lehre. Held Nathan steht blau im überwiegend blauen Bühnenbild, Saladin und die Seinen dürfen scharlachrot durch einen ziegelroten Mittelbogen schreiten, während den Christen weißliches Über-die-Bühne-Schleichen bleibt. Sogar die finalen Familienbande sind von vornherein verstofflicht: Recha trägt ein blaues Jäckchen überm weißen Kleid, beim Tempelherr schimmert saladinisches Neffenrot unterm Kreuzfahrerkittel. Diese Kostüme sind das einzig Naturalistische im requisitenfreien Purismus dieses „Nathan“.

Nur für den peinlichen Lessing-Schluss kommt auch Bischoff nicht um den Einsatz eines Dinges herum – doch immerhin darf das Brevier, Beweisstück der allseitigen Verwandschaft, schnell und verächtlich auf die Bühnenbretter geschleudert werden: Ein erleichternder Akt von Anti-Süßlichkeit, die Bischoffs Inszenierung spannend macht.

Henning Bleyl

Weitere Vorstellungen: 28. Oktober, 2., 14., 15. und 21. November, jeweils um 20 Uhr. Es spielen: Henriette Cejpek, Wiltrud Schreiner, Tanja Schupnek, Guido Gallmann, Detlev Greisner, Wolfram Grüsser, Andreas Herrmann, Torsten Ranft und Raiko Küster.