Das coole Wissen und die Folgen

Kess kalkuliert und fernab vom Kaffee Burger, und trotzdem mittendrin in der Pop-Irgendwas-Krise: Moritz Rinke las im Deutschen Theater zusammen mit Mario Adorf und Ulrich Matthes aus seinem Buch „Der Blauwal im Kirschgarten“

Kennen Sie Rinke? Richtig, mit n. Also den aufstrebenden, deutschen Jung-Dramatiker. Gleichsam Publizist zahlloser Kolumnen und Reportagen – darunter auch ausgezeichnete – für diverse überregionale und bestimmte lokale Tageszeitungen. Etwaige anfängliche Unsicherheiten seien hier jedem gegönnt, hatte doch auch mancher Besucher des Deutschen Theaters anscheinend zunächst so seine Probleme, den Schriftsteller Moritz Rinke in der gegenwärtigen jungen und wilden Literaturlandschaft zu verorten.

Dabei las Rinke am vergangenen Samstag vor fast ausverkauftem Haus aus seinem ersten Buch „Der Blauwal im Kirschgarten“. Bleibt anzunehmen, dass nicht wenige – dem Altersdurchschnitt des Publikums nach so etwa die Hälfte – nicht zuletzt auch wegen Mario Adorf gekommen waren, der dem Autor zusammen mit Schauspieler Ulrich Matthes als Co-Leser auf der Bühne zur Seite saß.

Zunächst gab’s aber erst mal Sekt für alle. Ursprünglich hatte man wohl in Tagespresse und Stadtzeitungen unterschiedliche Lese-zeiten veröffentlicht, woraufhin der Rowohlt-Berlin-Verlag sich sogleich nicht lumpen ließ und den „pünktlichen“ Besuchern ein Gläschen spendierte, bevor es an die Kolumnen ging. Und nach einer etwas aufgesetzt schmunzeligen, aber, wie oben angedeutet, durchaus hilfreichen Einführung inklusive Werk-Schöpfungsgeschichte von Verlagsleiterin Siv Bublitz, ging es dann auch endlich los, dem Ort entsprechend mit „Theater“. Zum Auftakt las der Autor selbst. Löblich einstudiert hatte er seinen Text, ebenso ulkig wie pointiert trug er ihn vor – eine gelungene Inszenierung seines schriftlichen „Ich“.

In den gesammelten Prosastücken – einem bunten Strauß aus Glossen, Reportagen, Short-Stories und fiktiven Briefen – verwickelt sich Rinke stets wagemutigst in groteske Szenen, die nicht selten auf der Bühne des „New Berlin“ spielen. Versteht sich. Frei nach dem Motto „Wissen wo–s passiert“ (oder zumindest passieren könnte), schleicht er sich auf Berlinale-Partys, besucht Love Parade und Grüne Woche oder gerät auf fatale Weise – und völlig unschuldig natürlich – ins Blitzlichtgewitter der Fernsehpreis-Verleihung, wo er Ulla Kock am Brink den großen Auftritt vermasselt.

Ein paar Geschichten später, auf Heiner Müllers Beerdigung, geht der Dramatiker in ihm durch: Der Promi-Trauer-Treff gerät innerhalb von nur einer Seite zur Farce, die Pointe dafür leider zu platt. Heiner Müller zeigt der Welt seinen Arsch und der freche Moritz Rinke hat die Lacher sicher auf seiner Seite. So weit, so amüsant. Aber richtig kritisch, gesteht er in seiner Titelgeschichte, möchte der Dramatiker Rinke ja auch gar nicht sein. Lieber epochal. Während andere Jung-Intendanten permanent ans Shoppen und Ficken denken, ans große Gesellschaftskritische, sinniert der junge Rinke eher über den Schaffensprozeß des Schreibens, tauscht sich in traumatischen Begegnungen mit Friedrich Hebbel aus, und erfindet schließlich die „Nibelungen“ neu. Frei nach Hebbel heißt das: Meide den Hype.

Doch Rinke steckt mit seinen kess kalkulierten Geschichtchen trotzdem mittendrin in der gegenwärtigen Pop-Irgendwas-Krise. Und das nicht weniger als seine Kollegen, wenn er als verstörter Außenseiter, als selbsternannter „affirmativer, kapitalistischer Boulevard-Autor, der Jacketts trägt“, durchaus selbstkritisch, aber kommerzialisiert zynisch über den Zustand der deutschen Gegenwartsliteratur im Kaffee Burger reflektiert.

Macht ja nichts, so lang’s dem Publikum gefällt. Und das schien im DT denn auch recht entzückt: Berauscht von der süffigen, hübsch pointierten Vortragsweise eines engagierten Ulrich Matthes, bezirzt vom smarten, nussbraunäugigen Autor, der mit entsprechender Hingabe den eigenen Text rezitiert.

Mehr oder weniger enttäuscht gingen wohl nur jene Menschen nach Hause, die allein wegen Vollblut-Schauspieler Mario Adorf zur Rinke-Lesung kamen. Der verfolgte nebenbei zwar immer souffleusenhaft den Text, trug seinen Part dann allerdings vor, als würde er eben gerade nicht Rinke, sondern einen berühmten österreichischen Dichter rezitieren. Richtig, den mit l.

PAMELA JAHN