Kastanienklauber

Röstfrisch gewinnt Bayer Leverkusen mit 4:1 gegen den VfB Stuttgart und ist immer genau da, wo es brennt

LEVERKUSEN taz ■ Schade! Alles halb so wild. Nichts Schlimmes passiert für die Emporkömmlinge aus Stuttgart. Das 1:4 sollte man, so sagt man halt in Fußballers Bürokratendeutsch, gleich zu den Akten legen. Trainer Felix Magath formulierte es so: „Ein Spiel zum Lernen, ein Spiel zum Abhaken.“ Er erklärte zwar nicht wie so was geht, aber: „Froh über die Niederlage bin ich natürlich nicht. Aber jetzt stimmen wenigstens die Relationen wieder.“ Im Schwabenland hatten sie nach dem blendenden Platz fünf schon von Höherem geträumt. Magath: „Es gibt halt doch noch bessere Mannschaften als uns.“

Die aus Leverkusen war es lange Zeit nicht, und so werden sie sich in Stuttgart schon ein bisschen mehr ärgern als zugegeben. Die Schwaben hatten sich recht clever angestellt, zumindest 60 Minuten lang. Da kam Leverkusen nicht recht in Tritt, was am versierten Verhalten der VfB-Viererkette lag und den zwei Mittelfeldblockern Todt und Soldo geschuldet war. Krassimir Balakow (35), die mannschaftlich vermeintlich unverträgliche Altlast, hatte zudem offensiv einige feine Momente. Und eine Konjunktivszene kann der VfB auch einwechseln: Hätte Ganea beim Stand von 1:1 kurz nach der Pause, völlig frei stehend, nicht Butt sondern die Bude getroffen, Leverkusen wäre kaum mehr auf die Siegerstraße eingebogen.

Auch Lucio nicht. „Diese Maschine“, wie ihn Stuttgarts Todt nachher nannte, macht an einem solchen Tag den Unterschied aus. Erst, so sein Trainer Klaus Toppmöller, macht er „den Stellungsfehler beim 0:1“, dann zeigte er „sensationelle Läufe“. Tatsächlich: Wenn der Brasilianer mit Riesenschritten den Platz dribbelnd umpflügt und jeden todesmutigen Gegner an seinem Teflonkörper abprallen lässt, sieht nur VfB-Sportchef Rolf Rüßmann jemanden auf „Sonntagnachmittagsspaziergang“. Alle anderen denken an Bulldozer oder Kampfstier. Lucio erzwang den Freistoß zum 1:1, walzte sich so manches Mal zur Torgefahr, weckte mit seiner Dynamik die Mitspieler und erzielte, als Balakow einmal im Strafraum völlig dumm herumstand, das 3:1 selbst, mit der Pike, einfach drauf. Bumm. Ein Typ, als würde Schwarzenegger Supermann spielen. „Gutes Spiel“, sagte Lucio nachher.

Nach dem Rückstand, so Klaus Toppmöller, hätte seine Elf mit Disziplin und Geduld noch die „Kastanien aus dem Feuer genommen“. Die leichte Variation des Sprichworts machte Sinn. Bayers kampfgeiles Team zeigt auch beim Kastanienklauben gutes Stellungsspiel, muss die Früchte deshalb nicht erst holen sondern ist immer schon da, wo es brennt. Da schafft sogar der schwache Boris Zivkovic ein Tor zum 2:1, sein erstes überhaupt. Ironischer wäre nur gewesen, wenn der noch indisponiertere Jurica Vranjes getroffen hätte, bei dem alle froh waren, wenn er wenigstens bei Kurzpässen den Ball bewegt bekam. Denn das fällt bei Bayer auf: Wenn aus der Erstelf Personal fehlt (am Samstag Ramelow, Nowotny, Sebescen), scheint das nur schwer kompensierbar. Morgen, in der Champions League bei Fenerbace Istanbul, fehlen gelbgesperrt Placente und Ferreira da Silva Lucio.

Auf der anderen Seite erklärt VfB-Sportchef Rolf Rüßmann seit Wochen sein mutiges Konzept: Man habe einige Leistungsträger wie Bordon und Soldo gehalten und, mangels finanzieller Möglichkeiten nach der gutsherrlichen Amtszeit von Gerhard Mayer-Vorfelder, den Kader mit unverbrauchten Leuten aufgefüllt. Von „jungen Wilden“ ist die Rede, einer zukunftsfähigen Aufbaumannschaft. „Wir sind eine junge Mannschaft“, sagte Rüßmann am Samstag wie wortgleich Felix Magath, der klarstellte, dass die Seinen aus Erfahrungsmangel „Schwankungen unterliegen“ und man „nicht erwarten könne, dass wir bei solch einem Gegner groß aufspielen“. Klingt gut, ist aber trotzdem nicht wahr. Der Taschenrechner würde Rüßmann und Magath belegen, was man zudem gerade bei Schwaben nicht erwarten würde: Rechenschwäche. Die jüngere Elf auf dem Platz war die aus Leverkusen. Und: Als in der Schlussphase die Routiniers Kirsten und Neuville ausgewechselt waren, zählte Bayer gerade mal 24 Lenze im Schnitt. Zum Vergleich: Die Juniorenroutiniers aus Stuttgart waren knapp 26. BERND MÜLLENDER