Schily macht Kollegen fassungslos

Das Justizministerium hält wesentliche Teile des Anti-Terror-Pakets für unverhältnismäßig oder unzulässig. Außerdem verdächtigen andere Ressorts den Bundesinnenminister, gar nicht gewollt zu haben, dass der Entwurf geprüft wird

von JEANNETTE GODDAR

Vierzehn Tage nachdem Innenminister Otto Schily (SPD) sein zweites Anti-Terror-Paket in Eile geschnürt und den Kabinettskollegen zur schleunigen Verabschiedung unterbreitet hat, hat das Justizministerium (BMJ) in ungewohnter Deutlichkeit darauf reagiert: Nach Einschätzung des BMJ sind nicht nur einzelne, sondern ganz wesentliche Teile des Pakets verfassungsrechtlich bedenklich, unverhältnismäßig, unzulässig oder stehen gar im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Prinzipien. Selbst eine gesunde Portion Zynismus erlaubt sich die 32-seitige Stellungnahme des Justizressorts: Im Hinblick auf den Titel des Pakets, der „Terrorismusbekämpfungsgesetz“ laute, scheine es doch „angeraten, den Gesetzentwurf auch tatsächlich auf Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu beschränken“.

Im Einzelnen moniert das Papier, das der taz vorliegt, in etwa die Punkte, die auch schon von Datenschützern, Ausländer- und Bürgerrechtlern kritisiert wurden: Die vorgesehene Speicherung von Daten und Fingerabdrücken von Asylbewerbern über einen Zeitraum von zehn Jahren sei „zweifelhaft“. Bei den vorgesehenen Erweiterungen der Datenverarbeitungsmöglichkeiten im Ausländerrecht bestünde die Gefahr einer „unzulässigen verdachtsunabhängigen Vorratsspeicherung“. Was die von Schily geplante Aufnahme der Religionszugehörigkeit ins Ausländerzentralregister angehe, sei diese mit dem Grundgesetz nicht vereinbar – und wenn, dann nur mit „Einwilligung der Betroffenen“.

Rundweg abgelehnt wird von den Juristen auch die geplante Erleichterung von Abschiebungen bereits bei einem Verdacht und auch in Länder, in denen die Todesstrafe gilt: Ein umfassender Rechtsschutz wäre „illusorisch“, so heißt es, wenn „die Verwaltungsbehörden irreparable Maßnahmen durchführten, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben“. Generell fordert das BMJ, die geplanten Änderungen des Ausländer- und Asylverfahrensgesetzes insbesondere vor dem Hintergrund „der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung“ zu überarbeiten.

Unhaltbar ist nach Ansicht des Justizministeriums aber auch die von Otto Schily geplante „beinahe uferlose Ausweitung der Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes“. Verdachtsunabhängige Ermittlungen sowie „Datensammlungen auf Vorrat“ seien „verfassungsrechtlich unzulässig“, heißt es. Auch dass der Verfassungsschutz Informationen von Banken, Post und Fluggesellschaften einholen dürfen soll, sei „problematisch“.

Das BMJ-Papier wirft aber nicht nur inhaltlich, sondern auch wegen seiner Übermittlung an die Öffentlichkeit ein bezeichnendes Licht auf die Unzufriedenheit mit Schilys Vorgehen unter seinen Kollegen. In „verschiedenen Ministerien mit nahen Berührungspunkten“ sei man „fassungslos“ gewesen, verlautet es aus einem derselben. Dass ein Minister einen Referentenentwurf am Freitag vorlege und am Montag von der Staatsekretärsrunde beraten lassen wolle, habe es „so noch nicht gegeben“. Hätte Kanzleramtschef Walter Steinmeier das Anti-Terror-Paket II nicht wieder zurückgezogen, hätte es innerhalb von höchstens zehn Tagen „durch das Kabinett gepeitscht“ werden sollen. „Die einhellige Ansicht in den übrigen Ressorts lautete: Das Bundesinnenministerium will nicht, dass sein Gesetzentwurf geprüft wird“, konstatiert ein daran beteiligter Mitarbeiter eines Ministeriums. Der nun angepeilte Kabinettstermin ist der 7. November. Bis dahin dürfte die Liste der Änderungswünsche lang geworden sein.