„Das Werk der USA“

Die algerische Politikerin Louisa Hanoune sieht im Kampf gegen den Terror den Anspruch der USA, „überall und jederzeit einzugreifen“. Stattdessen fordert sie eine Politik sozialer Gerechtigkeit

taz: Nach dem 11. September haben Sie gesagt, dass Algerien nicht mit den Wölfen heulen darf. Fühlen Sie sich etwa nicht als Bestandteil der internationalen Anti-Terror-Allianz?

Louisa Hanoune: Ich bin nicht damit einverstanden, dass unser Land in diesem Bündnis mitmacht. Die Allianz ist nichts anderes als eine Art Weltregierung, die Staaten, Institutionen und Länder entmündigt. Dieser Kampf gegen den internationalen Terrorismus schafft einen idealen Feind für die USA. Er erlaubt es den USA, überall und jederzeit einzugreifen.

Eigentlich sollte man doch davon ausgehen, dass der Kampf gegen den Terrorismus gerade für Länder wie Algerien von Nutzen ist.

Wir haben wirklich am eigenen Leib verspürt, was die Behandlung ein solchen Konfliktes unter rein militärischen und sicherheitstechnischen Aspekten bedeutet. Das führt zu allem anderen, bloß nicht zum Frieden oder zur Lösung der Probleme. Wir in hatten den letzten zehn Jahren mehr als 200.000 Tote zu beklagen. Die demokratischen Freiheiten wurden eingeschränkt. Wir leben in einer generellen sozialen Krise. Wie sollen wir da dafür plädieren, dass eine solche Politik weltweit ausgedehnt wird?

Was wäre die Alternative?

Wir müssen den Problemen auf den Grund gehen, um sie zu lösen. Die Wurzeln des Bösen können besiegt werden, wenn demokratische und soziale Rechte sowie die Rechte der Völker in Palästina und im Irak und überall auf der Welt, wo Völker leiden, respektiert werden.

Was heißt das für die ganz konkrete Situation nach den Anschlägen vom 11. September?

Für uns hat dieser Krieg zwei Gesichter. Zum einen ist er natürlich ein militärischer Krieg. Auch wir betrauern den Tod Tausender amerikanischer Arbeiter und Angestellter. Wir können dennoch nicht akzeptieren, dass Afghanistan oder ein anderes Land bombardiert wird. Die Konsequenzen sind nicht absehbar. Pakistan droht zu explodieren. In Palästina und in anderen Ländern hat es Tote gegeben. Alle Länder leben unter einer ganz neuen Bedrohung. Wir sind dagegen, dass der Krieg über die ganze Welt verbreitet wird, unter welchem Vorwand auch immer. Zum anderen hat der Krieg eine soziale Komponente. Die großen amerikanischen und europäischen Unternehmen haben Massenentlassungen angekündigt. Die wirtschaftliche Krise gab es bereits vor dem 11. September. Doch jetzt dienen ihnen die Anschläge als Ausrede.

Was folgt für Sie daraus?

Es stellt sich doch die Frage, wem nutzt der Krieg? Die USA bekommen weder die Börse noch Rezession in den Griff, aber gleichzeitig machen sie eine Politik, die die ganze Welt gefährdet. Wir dürfen nicht vergessen, dass sowohl Ussama Bin Laden als auch die Taliban das Werk der USA sind. Alleine im letzten Jahr flossen 124 Millionen Dollar an die Taliban. Die amerikanische Regierung ist also für die Lage verantwortlich.

Noch einmal: Welche konkrete Alternativen gibt es zum Militäreinsatz?

Eine andere Politik. Nicht dieses Abenteurertum, dessen Konsequenzen keine Mensch beherrschen kann. Wir müssen die Errungenschaften der Zivilisation bewahren, in dem wir die Probleme in Angriff nehmen, denen sich die Menschheit ausgesetzt sieht: 830 Millionen Menschen leben in absolutem Elend. Es gibt Millionen von Flüchtlingen. Alleine in Afghanistan sind es fünf Millionen, in Palästina eben so viele. Afrika stirbt vor Hunger. Brauchen wir zu alledem wirklich noch einen Krieg? Das alles sind die Konsequenzen einer Politik, die von den USA vorgegeben wird. Diese Politik müssen wir stoppen. Nur das führt zu einem wirklichen Frieden, nicht die Entlassung zehntausender von Arbeitern, die Verelendung immer mehr Menschen und die Einschränkung demokratischer und sozialer Rechte.

Wird der Krieg gegen den internationalen Terrorismus Auswirkungen auf die Situation in Algerien haben?

Kein Land wird sich vor dem so genannten Kampf gegen den internationalen Terrorismus retten können. Gerade das macht die Politik der USA so gefährlich. Zwei algerische Organisationen, die Islamische Bewaffnete Gruppe (GIA) und die Salafistischen Gruppen für Predigt und Kampf (GSPC) befinden sich auf der Liste der 27 Gruppen, die die USA veröffentlicht hat. Das hat uns nicht weiter verwundert. Aber wir mussten mit Überraschung feststellen, dass die beiden Organisationen Konten in den USA unterhielten. Das heißt, dass für die USA bis zum 11. September Geld nicht stank. Sie manipulieren Gruppen gegen verschiedene Länder, solange es ihnen gelegen kommt. Wenn dem nicht mehr so ist, dann ändern sie ihre Politik. Wir wollen keine Intervention von außen. Wir wollen nicht, dass algerische Regionen von ausländischen Armeen bombardiert werden. Wir wollen unsere Themen selbst regeln. Wir wollen eine demokratische, politische und friedliche Lösung finden.

INTERVIEW: REINER WANDLER