Sichtbar: Unsichtbare Einsätze

Das Video über eine US-Bodenoperation in Afghanistan ist eine PR-Aktion und dient der Ablenkung, etwa von Mordkommandos gegen Bin Laden

von ERIC CHAUVISTRÉ

Von der „unsichtbaren Operation“ gab es viel zu sehen: Vom ersten offiziell bestätigten Bodeneinsatz der USA in Afghanistan stellte das Verteidigungsministerium sogar Fernsehbilder zur Verfügung. Der Grünstich der Aufnahmen und die schlechte Auflösung schadeten nicht, sie machten die Bilder nur glaubwürdiger. Nach den „guncam“-Bildern, den Aufnahmen aus den Lenkbomben bis zum Treffer, wird jetzt der Krieg aus der Sicht eines Elitesoldaten mit Nachtsichtgerät geboten.

„Über einige der unsichtbaren Operationen werden wir informieren, so wie wir es heute getan haben“, kommentierte US-Generalstabschef Richard Myers die Videopräsentation. Selbstverständlich schränkte Myers ein, werde es „andere unsichtbare Operationen geben, über die Sie keinen Film sehen werden“. Neben „sichtbaren Operationen“, gemeint sind Angriffe aus der Luft, gibt es ab jetzt also „unsichtbare Operationen“, die sichtbar sind, und „unsichtbare Operationen“, die unsichtbar bleiben.

Das Sichtbarmachen des Unsichtbaren war politisch offenbar notwendig geworden. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sah sich Ende letzter Woche zunehmend Kritik ausgesetzt, weil es auch zwei Wochen nach Beginn der Bombardements nicht gelungen war, das angestrebte Auseinanderfallen der Taliban-Truppen zu erreichen. „Man kann nicht genug Schaden anrichten in einem Land, das seit so langer Zeit im Krieg ist“, sagte Rumsfeld. Als „vertrauensbildende Maßnahme für das amerikanische Volk“ wollen US-Militärs deshalb den wenig geheimen Geheimeinsatz vom Wochenende sehen.

Um die angegriffenen Ziele ging es erst in zweiter Linie. Nach Angaben von Myers griffen die US-Truppen einen Landeplatz und eine Kommandozentrale im Süden Afghanistans an. Inoffiziell ließ das Pentagon verbreiten, dass ein Gebäudekomplex in Kandahar angegriffen wurde, angeblich ein Posten der Taliban oder der al-Qaida. Der Taliban-Chef Mullah Omar oder andere hochrangige Führer des Regimes sollen sich dort aber nicht aufgehalten haben. Zum Einsatz kamen die auf dem Flugzeugträger „Kitty Hawk“ stationierten Spezialtruppen, die mit Hubschraubern nach Afghanistan gebracht wurden. Ein zweiter Einsatz soll auf einem Flugplatz etwa 90 Kilometer weiter südwestlich stattgefunden haben. Dazu wurden offenbar in Oman stationierte US-Truppen eingesetzt. Sie wurden per Flugzeug und Fallschirm in das Gebiet gebracht. Nach Darstellung des Pentagon wurden zwei Hubschrauberpiloten, die die Aktion unterstützen sollten, bei einem Landeversuch in Pakistan getötet – die ersten amerikanischen Toten im Afghanistankrieg.

Bedeutenden bewaffneten Widerstand gab angeblich bei keinem der Einsätze. Wie viele Taliban-Kämpfer die US-Truppen töteten und ob es Gefangene gab, wollte das Pentagon nicht verraten. Beobachter in Washington vermuten allerdings schon länger, dass die Festnahme und das Verhör von Taliban-Kämpfern in dieser Phase des Krieges zur Hauptaufgabe der US-Bodentruppen gehört. Sie sollen den US-Kommandos den Weg zu Ussama Bin Laden weisen.

Für das dann folgende Vorgehen gegen Bin Laden und al-Qaida hat der US-Geheimdienst CIA jetzt offenbar völlig freie Hand. Die Washington Post berichtete am Wochenende, Präsident Bush habe die CIA ermächtigt, „lethale Operationen“ durchzuführen, im Klartext: Einsätze zur gezielten Tötung politischer Gegner im Ausland. Der Präsident habe dem Dienst grünes Licht gegeben „für alles, was notwendig ist“. 1978 hatte der damalige Präsident Jimmy Carter der CIA gezielte politische Morde verboten. Alle seine Amtsnachfolger haben das Verbot bestätigt, Bushs Direktive wäre eine historische Wende.

Die offiziellen Statements stehen nicht in direktem Widerspruch zu diesen Berichten. Danach sollten die Kommando-Operationen vom Wochenende nämlich ganz allgemein der „Aufklärung“ dienen.

Denkbar ist, dass sie eher der Verwirrung dienten. Die New York Times berichtete am Wochenende, der medial präsentierte Großeinsatz habe von kleineren, sehr viel wichtigeren Einsätzen ablenken sollen. Während das Pentagon die Bilder vom Spezialeinsatz verbreitet, laufen andere Operation möglicherweise weiter: Wenn ein paar „unsichtbare Operationen“ sichtbar gemacht werden, werden die anderen erst recht unsichtbar.