Der Schneeballwerfer

In Koblenz beginnt heute der Strafprozess gegen den Exnationaltrainer in spe Christoph Daum.Die Staatsanwaltschaft baut dabei auf so manche Aussage, die sich eher aufs Hörensagen gründet

von BERND MÜLLENDER

Eigentlich nervt das Thema: Christoph Daum, der Verschnupfte. Der Starräugige mit den haarigen Geschichten. Ist doch Schnee von gestern. Weiß man nicht eigentlich schon alles? Auch die Wortspiele sind alle durchgekaut: Fußballlehrer Däumling hat seine Linien gezogen, vielleicht mittlerweile sogar seine Lehren – sollte man nicht auch einen Schlussstrich ziehen in der großen öffentlichen Wahrnehmung? Zudem gibt es in diesen Tagen wesentlich brisanteres weißes Pulver als den Alltagsstoff Kokain.

Daum (47), der Exnationaltrainer in spe, hat gekokst. Die Frage ist: Gelegentlich, vielleicht auch öfter, eventuell regelmäßig jahrelang? Ab heute läuft der Prozess vor dem Landgericht Koblenz. Der Medienauftrieb ist immens, Pressekarten wurden zum Teil verlost. Fünf Jahre Haft sind möglich, sagt das Strafgesetzbuch. Aber nur, wenn Christoph Daum die Anstiftung zum Handel nachgewiesen werden kann, möglichst mit Vorsatz, Dauerkonsum, bestenfalls eigene Dealerei. Vermutlich wird es auf maximal ein Jahr mit Bewährung hinauslaufen, wenn nicht Freispruch. Auch wenn die Staatsanwaltschaft glaubt, 63 Fälle detailliert belegen zu können (insgesamt fast ein halbes Pfund Stoff für 160 Mark pro Gramm).

Bei Besiktas Istanbul, wo Daum eine Anstellung gefunden hat nach dem großen Theater im Herbst 2000, wird ihnen das egal sein, Hauptsache das nächste Spiel wird gewonnen. Vielleicht wird auch gar nicht die Person Daum im Mittelpunkt des Mammutprozesses (19 Verhandlungstage bis Ende Februar) stehen. Sondern um das bockige Verhalten (und vielleicht die Eitelkeit) der Staatsanwaltschaft, deren Anklage auf windigen Figuren des Dealermilieus basiert, auf Kleinkriminellen und andere Drogenkonsumenten. Auf Schlussfolgerungen, die auf belastenden Aussagen vom Hörensagen beruhen. Auf abgehörte Telefonate, deren Inhalt nahe null liegen soll. Zudem auf spekulative Zeitungsartikel der Boulevardpresse. Und um einen Gutachterstreit wird es gehen. Die Haaranalysen weisen so widersprüchliche Werte aus, dass man sich Antworten erhofft, wie verlässlich denn die Drogen- und Dopingtesterei hierzulande ist.

Daum glaubt heute, möglicherweise habe „menschliches Versagen“ zu falschen Ergebnissen geführt, die ihn zum Dauerkonsumenten stempelten. Die Verteidigungslinie läuft Richtung Gelegenheitskonsum in schwieriger Lebensphase. Was allein nicht strafbar ist. Auch nicht, wenn es stimmt, dass er schon 1994 bis 1996 munter vom Pulver genascht hat, was eine frühere Freundin jetzt behauptete.

Ab heute ist Daum wieder da. Mögen andere Angeklagte das Schweigen vor ihren Prozessen vorziehen, der notorische Vielsprecher redet. Zahlreiche lange Interviews der vergangenen Tage belegen das. Leverkusens dauerhafter Vizemeistertrainer glaubt nicht mehr an die große Verschwörung und stellt sich nicht als Opfer fremder Mächte dar, angeführt von Bayernmanager Uli Hoeneß, der Ausgeburt des Bösen, sondern seiner selbst. Immerhin. Die Kokszeit war die nach der Trennung von der Familie: „Ich habe mich damals zum ersten Mal in meinem Leben in einer Situation befunden, in der ich hilflos war, in der ich keine Lösung hatte.“ Er habe „plötzlich allein im Hotelzimmer gewohnt“, zudem „mit großen Schuldgefühlen“.

Daum nennt den Prozess „die Veranstaltung“; ersatzweise „das böse Spiel“. Koblenz, sagt er, werde belegen, „wie aus einer Mücke ein Elefant gemacht“ wurde. Er habe sich nur eines vorgenommen, im Gerichtssaal „nicht ausflippen“: „Das Einzige, was ich wirklich kontrollieren kann, ist mein Gesichtsausdruck.“ Aber auch: „Ich weiß jetzt endlich, dass man in wichtigen Momenten seine Schwächen auch mal in der Öffentlichkeit zugeben können muss.“ Und: „Ich habe, wenn ich das mal selbstironisch sagen darf, den Schneeball geworfen, und dann wurde eine Lawine daraus.“

Christoph Daum, das Lawinenopfer? Nein, Christoph Daum der Lawinenmeister: Im Januar war er aus dem Exil in Florida zu seiner skurrilen und albernen Pressekonferenz nach Köln gekommen und hatte gutlaunig seinen Konsum zugegeben. Nicht nur Kirch-Kommentator Marcel Reif kam das wie „unglaubliche Verarsche“ vor, wie er sich zum „Märtyrer der Partygesellschaft“ (Roger Willemsen) hochstilisierte und ansonsten gute Laune versprühte. Jetzt hat Daum noch Größeres vor; er will „Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Integrität zurückgewinnen“. Endgültig sei er ein anderer geworden, indes: „Ich höre in letzter Zeit häufig, dass ich gelassener bin, was mich schon wieder nachdenklich macht, weil ich kein Langweiler sein will.“

Gelassenheit als Menetekel. Daum, der den Met immer aus dem Neid anderer sog, der immer das Spektakel suchte und die Konfrontation – ein Langweiler? Unvorstellbar! Daum ist Daum und wird sogar noch mehr Daum: „Realität ist auch“, kündigt er an, „dass meine beste Zeit noch kommen wird.“ Diese Mischung aus Hoffnung und Drohung ist allerdings noch Schnee von morgen.