Reise mit Kollateraleffekten

Außenminister Fischer will in Teheran für die Anti-Terror-Allianz werben. Dabei sollte er jedoch nicht vergessen, auf die Menschenrechtsverletzungen in Iran hinzuweisen

Der 11. September hat die Welt verändert – Menschenrechtsverletzungen sind salonfähig geworden

Es ist nicht schwer zu erraten, was Joschka Fischer auf seiner Reise nach Teheran im Diplomatenkoffer mitnehmen wird. Als Vizekanzler und deutscher Außenminister wird er selbstverständlich – der Position der Bundesregierung entsprechend – die US-Strategie gegen den Terrorismus uneingeschränkt als legitim darstellen. Gleichzeitig wird er sich hüten, die Bedenken seiner Partei auch nur anzudeuten. Das kann man ihm nicht übel nehmen, denn er reist schließlich im Auftrag seiner Regierung und nicht der Grünen. Folgerichtig wird er die iranische Regierung dazu drängen, sich mehr in Afghanistan zu engagieren, der Nordallianz mehr militärische, logistische und politische Unterstützung zu gewähren und bei der Lösung des Flüchtlingsproblems zu helfen. Auch wenn es um die politische Gestaltung der Zukunft Afghanistans geht, wird er Iran auffordern, mit der Anti-Terror-Allianz und damit in erster Linie mit den USA zu kooperieren. Spätestens hier wird Fischer bei seinen Gesprächspartnern auf Widerstand stoßen.

Iran hat gegen die militärische Intervention in Afghanistan protestiert und die Forderung erhoben, die Führung des internationalen Anti-Terror-Kampfes auf die UNO zu übertragen. Zudem lehnt das Land eine wie auch immer von den USA zusammengebastelte Marionettenregierung in Afghanistan ab – erst recht, wenn an deren Spitze der alte König Zahir Schah stehen soll. Für die Ablehnung reicht schon die Vermutung, die Rückkehr eines abgesetzten Königs werde auch in Iran neue Hoffnungen auf einen Regimewechsel wecken. Zwar lebt der alte Schah Reza Pahlevi nicht mehr, aber sein Sohn sitzt im amerikanischen Exil auf der Lauer. Es ist also stark anzunehmen, dass die Überredungskünste des deutschen Außenministers nicht zum erwünschten Ergebnis führen werden. Aber ohne den großen Nachbarn Iran werden sich die vorprogrammierten Konflikte in Afghanistan nach dem Sturz der Taliban kaum beilegen lassen.

Die Frage ist, was der deutsche Außenminister als Gegenleistung für ein Einlenken Irans anbieten könnte. Hat er vielleicht eine Botschaft der US-Regierung im Gepäck – etwa die Aussicht, dass das seit Jahren gegen Iran verhängte Wirtschaftsembargo bald aufgehoben werden könnte? Eine gewisse Annäherung zwischen Iran und USA hat es trotz des Widerstands der Islamisten bereits gegeben: Iran wird in Not geratenen US-Soldaten und -Flugzeugen Hilfe leisten, und Amerika respektiert die territoriale Souveränität Irans.

Aber Iran ist nicht Pakistan. Selbst die Reformer unter Chatami würden, wenn sie sich der US-Strategie in Afghanistan unterwerfen, ihre Glaubwürdigkeit beim eigenen Volk verlieren. Der deutsche Außenminister wird also viel Mühe haben, will er nicht mit leeren Händen zurückkehren. Wenn es ihm jedoch gelingen würde, zur Stärkung der Reformer gegenüber der Rechten beizutragen, dann hätte sich die Reise gelohnt.

Fischer hat aber nicht nur große strategische Fragen im Kopf, sondern, wie ich hoffe, auch noch alte Rechnungen im Gepäck. Oder hat er sie doch in Berlin liegen lassen? Jedenfalls wird er sich noch an die Terroranschläge gegen iranische Staatsbürger im Ausland erinnern, die, wie im Berliner Mykonos-Prozess bestätigt, von den Islamisten in Iran in Auftrag gegen wurden. Er hat Kenntnis über die Kettenmorde in Iran selbst. Ihm ist auch bekannt, dass seit April vergangenen Jahres immer noch vier Gäste, die an einer von der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin veranstalteten Iran-Konferenz teilgenommen hatten, im Gefängnis sitzen. Dazu kommen ein Übersetzer und ein iranischer Angestellter der deutschen Botschaft in Teheran. Der Übersetzer hatte für die Böll-Stiftung Kontakte zu den Gästen hergestellt und einen Beauftragten der Stiftung in Teheran begleitet. Er wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt und vor zwei Wochen in die Verbannung geschickt, um dort unter unerträglichen Bedingungen seine Strafe zu verbüßen. Der Botschaftsangestellte hatte mit der Konferenz nichts zu tun, erhielt aber ebenfalls eine zehnjährige Haftstrafe.

Die Kampagne gegen die Teilnehmer der Berliner Iran-Konferenz bildete den Auftakt zu einem Rundumschlag gegen die liberale Presse. Nahezu dreißig Zeitungen und Zeitschriften wurden in Iran verboten. Dann kamen die Religiös-Nationalen an die Reihe, eine politische Strömung, die die Brücke zwischen den religiösen und säkularen Reformern bildet. Zahlreiche Wortführer dieser gesellschaftlich wichtigen Strömung wurden verhaftet. Neuerdings werden nicht einmal Abgeordnete verschont, wenn sie sich kritisch zu den willkürlichen Verhaftungen und Urteilen äußern. Die Justiz schert sich nicht um die Immunität der Volksvertreter. Mehrere Abgeordnete wurden bereits zu Haftstrafen zwischen einem und zwei Jahren verurteilt. Wird der deutsche Außenminister in Teheran diese Vorgänge erwähnen und die Freilassung der Teilnehmer der Iran-Konferenz fordern?

Es kann durchaus sein, dass Joschka Fischer den militärischen Angriff der USA trotz zahlreicher ziviler Opfer, Millionen Flüchtlingen und aufflammender Konflikte in der gesamten Region tatsächlich für die beste Strategie gegen den Terrorismus hält. Mag sein, dass die Argumente, die er Kritikern entgegensetzt, nicht aus Machtkalkül, sondern aus wirklicher Überzeugung erfolgen. Mag sein, dass die uneingeschränkte Solidarität, die er der US-Regierung bekundet, nicht nur den Pflichten des deutschen Außenministers genügt, sondern ihm auch von seinem Verstand, seiner Vernunft und seinen Gefühlen diktiert wird. Aber kann Joschka Fischer, Außenminister, aber auch Mitglied der Grünen, die Verletzung der Menschenrechte in den Ländern ignorieren, die er zurzeit bereist?

Neuerdings werden nicht einmal Abgeordnete verschont, wenn sie die Willkürurteile in Iran kritisieren

Es wird immer wieder behauptet, der 11. September habe die Welt verändert. Das scheint tatsächlich zu stimmen. Die Bombardierung eines Landes, das kaum noch Ziele anzubieten hat, wird als legitim betrachtet. Den Völkermord in Tschetschenien muss man laut Schröder differenzierter sehen. Die Chinesen, denen man bis dato mit Recht die eklatante Verletzung der Menschenrechte vorgeworfen hat, sind salonfähig geworden. Pakistan erfreut sich der Aufnahme in die „zivilisierte“ Staatengemeinschaft. Wird man jetzt auch um die Gunst der Islamischen Republik werben, die Rechten eingeschlossen?

Joschka Fischers Ernennung zum deutschen Außenminister erweckte bei vielen Angehörigen der Länder der so genannten Dritten Welt eine große Hoffnung. Allein die Neugründung einer Abteilung für Menschenrechte in seinem Ministerium deutete auf einen Kurswechsel der deutschen Außenpolitik, die stets den Wirtschaftsinteressen den Vorrang gab und innenpolitische Vorgänge in den „Partnerländern“ als sekundär betrachtete. Von dem Menschenrechtsbeauftragten des Außenministeriums habe ich lange nichts mehr gehört. Wird er Fischer auf seiner Reise nach Iran begleiten – oder ist die Abteilung schon aufgelöst? BAHMAN NIRUMAND