rot-rot in berlin ?
: Kleinbürger unter sich

Welche Koalition Berlin in Zukunft regieren wird, ist noch offen, aber gewichtige Argumente sprechen für eine Regierungsbeteiligung der PDS, also eine rot-rote Koalition. Anders als die von Kanzler Schröder favorisierte Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen hätte sie eine stabile Mehrheit, die für die schwierige Haushaltssanierung unerlässlich ist. Gleichzeitig ist eine Machtbeteiligung der PDS eine Frage des demokratischen Anstands. Jeder zweite Ostberliner hat die PDS gewählt; sie von der Macht fern zu halten, würde nicht nur die innere Einigung der Stadt und auch der Republik infrage stellen, sondern auch jene Demokratieskeptiker bestätigen, die schon immer wussten: Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten.

Kommentarvon EBERHARD SEIDEL

Damit wäre aber die Begeisterung für einen Politikwechsel, den ein rot-roter Senat repräsentieren könnte, auch schon erschöpft. Die rot-rote Mehrheit darüber hinaus als einen Linksruck Berlins zu interpretieren, ist dann doch zu viel des Guten – auch wenn die taz gestern „Berlin wählt links“ getitelt hat.

Berlin hat nicht links, sondern vor allem kleinbürgerlich gewählt. SPD und PDS repräsentieren nicht ein innovations- und experimentierfreudiges, urbanes Großstadtmilieu, sondern eine traditionell sozialdemokratische Klientel mit erhöhten Sicherheitsbedürfnissen bei der Kriminalitätsbekämpfung und der Ausländerpolitik. Ein Milieu, das zum Beispiel dem Abbau demokratischer Rechte allzu bereitwillig zustimmt, wenn es der eigenen Ruhe dient.

Von dieser Koalition würde sicherlich vieles zur sozialen Gerechtigkeit zu hören sein, was ja nicht schlecht ist. Aber eine moderne, weltoffene Politik, die Berlin auch braucht, wäre nicht zu erwarten. Ohne eine Ergänzung der rot-roten Koalition um das linksliberale Bürgertum, das die Grünen repräsentieren, wird es der Stadt an einem wichtigen (westlastigen) Korrektiv fehlen. Zum Beispiel in der Umwelt- und Finanzpolitik, der Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Ausgestaltung der Einwanderungsstadt Berlin. In der migrationspolitischen Debatte hat die PDS außer plakativen, politisch korrekten Statements keine Konzepte zu bieten, fehlt es der Partei doch an Erfahrung mit der entwickelten multikulturellen Gesellschaft. Und die SPD betrachtet das Thema vor allem unter sicherheits- und arbeitsmarktpolitischen Aspekten.

Rot-Rot wäre eine inzestuöse Verbindung, die nichts anderes als Sozialdemokratie pur gebären kann.