Dichter im Kreuzfeuer

Mehrere Männer und zwei Frauen – ein Kulturkatastrophenvorfall

Das Schandmaul und die Krachschachtel nahmen uns in die Zange. Der Dichter guckte.

Ein Freund und ich besuchten einen großen, einen genial zu nennenden Dichter, der im Rhein-Main-Pfalz-Raum lebt und einen geläufigen Nachnamen trägt. Sein Vorname aber unterscheidet ihn von allen Bewohnern jener Gegend, die denselben Nachnamen wie er haben, und erst recht, was der Dichter bisher schrieb, schafft eine erhebliche Kluft zwischen ihm und denen, die sich in Telefonbüchern um ihn herum gruppieren.

Der Dichter möchte davon jedoch gar nichts wissen. Er pflegt ein ausnehmend freundliches, uneitles Wesen, begegnet jedermann äußerst zuvorkommend und verströmt Milde, Gutherzigkeit, sagen wir ruhig: Humanität.

Wir saßen mit dem Dichter und einem Galeristen, der sich des graphischen Werkes des Dichters annehmen wollte, um eine Geburtstagsausstellung einzurichten, in einem gemütlichen Lokal. Man hatte gut gegessen und schön getrunken. Gegen halb zehn musste der Galerist seine Frau und deren beste Freundin vom Kino abholen und brach auf. Die verbliebenen drei Männer bestellten neue Getränke und plauderten angenehm weiter.

Gerade war eine frische Runde Bier vor den drei Männern abgestellt worden, da erschien etwas überraschend der Galerist wieder. In seiner Begleitung befanden sich die Ehefrau und eine Bekannte. Ohne ein Wort der Nachfrage, ob man Platz nehmen dürfe oder vielleicht doch störe, plumpsten sie auf die freien Stühle und fingen an, aus vollen Kehlen ihre Eindrücke vom Kinofilm zu vermitteln.

Die Ehefrau hatte sich neben dem Dichter niedergelassen, der konzentriert zuhörte, manchmal nickte und ab und an etwas einzuwerfen versuchte. Die Ehefrau geriet noch ein wenig stärker aus der Fassung, da sie Johnny Depps braune Augen zu preisen begann und den Dichter, den sie gerade zum ersten Mal und ohne Verabredung traf, anschmadderte, ja beinahe anschrie, „diese Augen, du, diese jüdischen Augen sind tolle jüdische, richtig dunkle jüdische Augen“, worauf die Bekannte ergänzte, die seien sehr sexy, die jüdischen Augen. Sexy sei zwar wohl auch die Sabrina Setlur, die indes sei keine Deutsche. Mein Freund gab zu bedenken, wenn schon, dann habe Depp, sicher kein Deutscher, indianische Vorfahren, um sogleich den nächsten Anwurf an den mittlerweile verstummten Dichter auf sich zu ziehen und zu scheitern, denn die Ehefrau brüllte jetzt inmitten des gefährlich expandierenden, nahezu explodierenden Geranzes, ihre Tochter müsse sich, sei sie in Dänemark oder Holland, andauernd die übelsten Beschimpfungen gefallen lassen, weil sie Deutsche sei, das müsse endlich mal aufhören, man müsse ja wirklich mal vergessen.

Der Dichter schwieg. Mein Freund antwortete, gewissermaßen in dem Bestreben, einen abermaligen und noch heftigeren Duz-Angriff auf den wie konsterniert verharrenden Dichter abzublocken, die Holländer und die Dänen hätten jeden einzelnen Deutschen an den Eiern aufhängen sollen. Das gab der Bekannten das Stichwort, ihre jüngsten Erotikerfahrungen zu referieren. Die Ehefrau stieg augenblicklich darauf ein und rühmte, während der Ehemann in sich zusammensackte, ein Buch, das mehr als hundert gewagte Sexspiele beschreibe, die sie alle durchprobiert und deren Anweisungen, es erfolgte ein eindeutiger Blick zum Gatten, sie voller Genuss ausgelebt habe. Ja, ein richtig gutes Buch sei das, „und du“, putete sie jetzt den Dichter an, „solltest mal was Schönes, was Spritziges schreiben“, sie könne im Übrigen „die Bilder von dir“, die zu Hause überall herumlägen und -hingen, nicht mehr sehen, diese negativen Sachen.

Der Ehemann wurde erneut kleiner. Der Dichter guckte. Das Schandmaul und die Krachschachtel nahmen meinen Freund und mich in die Zange und hauten dann in einer letzten halbstündigen Aufwallung an Wahnsinn, Frechheit, Takt- und Geschmacklosigkeit den Dichter in die Pfanne, dergestalt er bedenken solle, ob ein solches, nämlich sein Schreiben das richtige sei, erfolgreich sei es jedenfalls nicht, nicht mal sie, die ungeheuer viel läsen, würden seine Bücher kennen, geschweige denn ihn – außer vom Namen her. Auch hiergegen erhob sich seitens des Dichters kein Protest. Die drei anderen Männer waren gleichfalls erledigt.

Was der Dichter nie tut, musste er einige Tage später tun. Er musste die Geburtstagsausstellung trotz Zusage schweren Herzens absagen. JÜRGEN ROTH