Sporen, Keime und die Karriere einer Tierkrankheit

So schwer das „bacillus anthracis“ zu behandeln ist, so leicht ist es zu beschaffen: Milzbrand gilt als „Kampfstoff des kleinen Mannes“, weil er auch von Laien eingesetzt werden kann

BERLIN taz ■ Nach einer Gefahreneinschätzung der US-Armee ist der Erreger des Milzbrandes, „bacillus anthracis“, der am leichtesten zu produzierende und einzusetzende biologische Kampfstoff. Notwendig dazu ist weder eine besondere Ausrüstung noch eine fortgeschrittene Technologie. Da Anthraxsporen extrem unempfindlich und langlebig sind, lassen sie sich gut als Pulver aufbewahren und transportieren. Die Sporen keimen erst auf, wenn sie in eine Umgebung gelangen, in der die lebensnotwendigen Nährstoffe vorhanden sind. Im Blut etwa oder im Gewebe eines Tieres oder Menschen.

Als Wirt kommen nahezu alle Warmblüter in Frage. Bis zur Keimung kann eine beträchtliche Zeit vergehen. „60 Tage“ kann es dauern, bis die bakteriellen Lebensformen sich in einen tödlichen Keim verwandeln, berichtet das Deutsche Ärzteblatt in seiner neuesten Ausgabe. Die Anthraxbakterien vermehren sich dann sehr schnell im Körper und produzieren mehrere extrem giftige Substanzen. Diese Toxine lösen innerhalb kürzester Zeit Blutungen und Ödeme aus und führen zur Zerstörung des Gewebes. Generell werden drei mögliche Infektionswege unterschieden: der Hautmilzbrand, der Lungenmilzbrand und der Darmmilzbrand (siehe Grafik). Am häufigsten erfolgt eine Infektion über kleinste Verletzungen in der Haut. An der Infektionsstelle entstehen relativ schnell kleine Bläschen, die sich in ein schwarz verschorftes Geschwür verwandeln, das so genannte „Milzbrandkarbunkel“. Begleitende Symptome sind hohes Fieber, Benommenheit und Herz-Kreislauf-Störungen – bei rechtzeitiger Antibiotikagabe bestehen aber gute Heilungschancen. Beim Lungenmilzbrand besteht vor allem die Schwierigkeit einer frühzeitigen Diagnose. Zunächst treten nur untypische Krankheitssymptome auf, die leicht mit einer beginnenden Grippe verwechselt werden: Fieber, Husten und Kopfschmerzen. In der zweiten Phase kommt es dann zu plötzlichen Fieberschüben, Schüttelfrost und Schockzuständen. Helfen kann nur eine frühzeitige Gabe von Antibiotika, möglichst noch bevor die ersten Krankheitssymptome überhaupt entdeckt worden sind – geschieht dies nicht, sterben die Patienten in kürzester Zeit.

Sehr selten und am gefährlichsten ist der Darmmilzbrand. Hier erfolgt die Infektion über verseuchtes Fleisch. Innerhalb kürzester Zeit entwickeln sich blutige Durchfälle und Schocksymptome. Auch bei frühzeitiger Behandlung mit Antibiotika sind die Überlebenschancen sehr gering. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist nicht möglich.

Die ursprüngliche Tierkrankheit ist vor allem in wärmeren Klimazonen noch sehr häufig. Als mögliche Quellen der jetzt verschickten Erreger kommen vor allem verseuchte Tierkadaver in Frage – aber auch zahlreiche Forschungslaboratorien. So war es bis 1996 in den USA noch relativ einfach, Anthraxstämme von den mikrobiologischen Stammsammlungen zu beziehen. Erst nachdem 1995 in den USA ein Mitglied der extremistischen „Arischen Front“ aufflog, der sich kurz zuvor mit gefälschten Papieren bei einer Forschungsstelle einen Pesterreger beschafft hatte, wurden in den USA strengere Regeln vereinbart. Selbst irakische Forscher konnten zuvor noch die Milzbranderreger für ihr B-Waffen-Programm aus den USA beziehen. Auch die Überreste des umfangreichen B-Waffen-Programms der Sowjetunion stehen als Urspungsort der per Post verschickten Anthraxbakterien unter Verdacht. So sollen auf der Insel Wosroschdenije im Aralsee noch mehrere Tonnen mit Anthraxsporen lagern. Aber auch in Afghanistan selbst hätten sich die Attentäter bedienen können. Dort betrieb das Internationale Rote Kreuz (IRK) ein Labor, in dem mit Anthraxbakterien gearbeitet wurde. Das IRK stellte dort Impfstoffe gegen die tödliche Krankheit her. WOLFGANG LÖHR