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: Letzte Hilfe eines guten Freundes

In dieser Woche wird Bill Gates persönlich die neuste Version des Betriebssystems Windows vorstellen. Seit Wochen ist der Termin bekannt, aber schon wieder hätte ich ihn beinahe vergessen. Interessiert sich noch irgendjemand dafür, was uns Microsoft diesmal antun wird? Zu meiner eigenen Überraschung stelle ich fest, dass es mir inzwischen egal ist, welche Sicherheitslöcher gestopft werden müssen, irgendwie wird auch dieses Windows laufen, Sorgen macht mir nur, dass ich mir selber allmählich dumm vorkomme, weil ich immer noch nicht verstehe, warum die meisten Leute mit diesem Durcheinander von Menus und komplett unverständlichen Fehlermeldungen recht gut zurechtkommen.

Ich habe noch nie ein Wort davon verstanden, aber wahrscheinlich bin ich dafür einfach zu alt. In einem der Chaträume, die ich gelegentlich besuche, habe ich neulich gestanden, was ich tue, wenn mein Windows einmal streikt. Ich klicke dann in dem für mich sonst weitgehend unbrauchbaren „Start“-Menu den Punkt „MS-DOS-Eingabeaufforderung“ an. Kein Mensch in dem Chat wusste, was das ist.

Peinlich für mich, denn natürlich weiß ich, dass ich damit diese wunderbare Multimedia-Maschine zu einem der dümmsten Geräte mache, die die Informationstechnik je gesehen hat. Aber was soll ich tun? Ein DOS-Computer mag dumm sein, aber er ist ein Computer, man kann mit ihm ganz vernünftig reden, wenn man sich an die paar Befehle hält, die er versteht. Was dagegen ist Windows? Die Oberfläche eines Systems, von dem wirklich niemand mehr weiß, wie es funktioniert. Es gibt keine Befehlszeile für Windows, man kann lediglich mit der weit hinten versteckten „DOS-Eingabeaufforderung“ nachschauen, welche Dateien in welchen Verzeichnissen stehen. Ratsam ist es nicht, es kann zu Depressionen führen. Der schnellste Gigahertz-Rechner sieht dann aus wie ein Müllhaufen, in dem man besser gar nicht erst zu wühlen anfängt.

Nur einmal habe ich in der Not versucht, die „Hilfe“-Funktion von Windows aufzurufen. Nach dem Blick durch die DOS-Brille ins Innere des Monsters hat mich nicht gewundert, dass sie nicht funktioniert hat. Wie sollte sie auch? Die Hilfe für Windows funktioniert nur, wenn Windows funktioniert. Seine Hilfe ist keine, und wäre ich sicher gewesen, welche Dateien dafür zuständig sind, hätte ich sie erbarmungslos gelöscht, um Platz auf meiner zu kleinen, von nie gesehenen Windows-Daten überfüllten Festplatte zu sparen. Aber ich ließ auch davon die Finger. Man kann ja nie wissen, vielleicht braucht dieses wirre System für sich selbst eine innere Hilfe, eine Art moralischer Stütze, die kein Mensch je verstehen kann.

Hilfe brauchte vergangene Woche aber auch eine Freundin und ihr über zehn Jahre alter DOS-Computer. Das Maschinchen geht dem natürlichen Tod der Hardware entgegen, ließ sich nur nach langem Zureden starten, wenn man ihm ein neues DOS auf einer Diskette zum Booten gab. Ein letztes Mal noch erwachte es zu seinem schlichten Leben, startete noch einmal eines jener Programme, deren Code kleiner ist als ein simples Bildchen auf einer simplen Website und dennoch so viel nützlicher: Es hat die Texte, die der Freundin, das also, was heute „Content“ heißt, von dem winzigen Speicherplatz der Festplatte auf Disketten kopiert. Damit waren sie gerettet, und wir konnten die Maschine ausschalten. Ich schaute zur Seite, denn ich hatte das Gefühl, dass die Freundin den Tränen nahe war. Er war ein Freund gewesen, dieser DOS-Computer, und ich glaube nicht, dass man das von einem Windows-Boliden je wird sagen können.

NIKLAUS HABLÜTZEL

niklaus@taz.de