Waffen in Beton gegossen

Die IRA vernichtet ihre Waffen und hilft dem Friedensprozess auf die Sprünge. Unter Zugzwang sind nun ihre Gegenspieler

aus Dublin RALF SOTSCHECK

Die Irisch-Republikanische Armee (IRA) hat vorgestern mit der Zerstörung ihrer Waffen begonnen. In einer Presseerklärung gab die Organisation bekannt: „Dieser beispiellose Schritt soll den Friedensprozess retten und andere von unseren ehrlichen Absichten überzeugen.“ Ein ehemaliges IRA-Mitglied sagte: „Das bedeutet, dass der politische Flügel zum ersten Mal Vorrang vor dem militärischen Flügel hat.“

Am späten Abend bestätigte die Internationale Abrüstungskommission des kanadischen Generals John de Chastelain, dass die IRA damit die Anforderungen erfüllt habe: die Waffen seien unbrauchbar. „Wir sind Zeugen eines Vorgangs, bei dem die IRA eine bedeutende Menge an Material zerstört hat“, hieß es in der Erklärung. „Es handelt sich dabei um Waffen, Munition und Sprengstoff.“ Genauere Angaben wollte de Chastelain nicht machen, um die IRA-Basis nicht zu beunruhigen und eine Spaltung zu verhindern.

Fest steht, dass die IRA die beiden Waffenlager, die von der Kommission seit vorigem Jahr mehrmals inspiziert worden sind, nicht mit einem Betondeckel versiegelt, sondern sie mit Beton ausgegossen hat, sodass die Waffen nie mehr zu gebrauchen sind. Der Druck lastet nun auf den protestantisch-loyalistischen Organisationen, es der IRA gleichzutun. Dafür gibt es bisher keine Anzeichen, im Gegenteil: Die Überfälle auf katholische Wohnviertel sind in den letzten Monaten eskaliert, die mit 5.000 Mitgliedern stärkste loyalistische Terrororganisation Ulster Defence Association befindet sich offiziell nicht mehr im Waffenstillstand, nachdem sie Ende September den Journalisten Martin O’Hagan ermordet hat.

Die Reaktionen auf die IRA-Initiative waren in England und Irland sowie in den USA dennoch euphorisch.

Der britische Premierminister Tony Blair pries die IRA für ihren Mut. Die Regierung in London wird vermutlich heute den Abbau von elf Armeeforts im Grenzgebiet zur Republik Irland ankündigen. US-Senator Edward Kennedy sagte gestern, es sei ein „Tag der Befreiung“ für alle Menschen in Nordirland. Der Kongressabgeordnete Peter King bezeichnete den Beginn der Abrüstung gar als „historisch bedeutender als der Fall der Berliner Mauer“. Präsident George W. Bush sprach von einem „historischen Schritt“ der IRA: „Die Menschen in Nordirland sind nun messbar näher an einem dauerhaften Frieden, den sie so sehr verdienen.“

Gerry Adams, Präsident des politischen IRA-Flügels Sinn Féin, sagte: „Wir müssen diese Chance beim Schopfe packen und die Situation vorantreiben. Es ist obszön, dass Irland immer noch geteilt ist.“ Sein Stellvertreter, der Bildungsminister Martin McGuinness, wurde vorgestern in Washington von US-Außenminister Colin Powell und dem US-Sonderbeauftragten für Nordirland, Richard Haass, empfangen. „Das ist ein großer Tag für Irland“, sagte McGuinness. „Er könnte der Wendepunkt in der unruhigen Geschichte Nordirlands sein.“

Der Sinn-Féin-Politiker ging auch auf die drei Iren ein, die im August in Kolumbien festgenommen wurden. Ihnen wird vorgeworfen, die kolumbianische Farc-Guerilla im Bombenbauen ausgebildet zu haben. Sinn Féin hatte bisher geleugnet, dass die drei Verhafteten irgendetwas mit der Partei zu tun haben. Am Montag räumte man ein, dass einer von ihnen der Parteiabgesandte in Kuba war. McGuinness sagte, er sei sehr verärgert darüber, dass er damals nicht über die Kolumbien-Reise informiert worden ist.

Wichtiger als die internationalen Reaktionen ist für die Zukunft Nordirlands das Verhalten der nordirischen Unionisten, die die Union Nordirlands mit Großbritannien verteidigen. Unionistenchef David Trimble, den man selten so gut gelaunt gesehen hat, begrüßte die IRA-Initiative. „Man hat uns gesagt, dass wir diesen Tag nie erleben werden“, sagte er. Noch heute will Trimble seine Minister wieder einsetzen, die vorige Woche zurückgetreten sind.

Bevor er selbst sein Amt als Premierminister, das er im Juli wegen der Waffenfrage niedergelegt hatte, wieder antreten kann, muss er die 110 Mitglieder des Parteirats auf einer Sondersitzung am Samstag davon überzeugen, dass die Unionistische Partei sich wieder an der Mehrparteienregierung mit Sinn Féin beteiligt. Gelingt ihm das, könnte er schon nächste Woche wiedergewählt werden. Als Stellvertreter wird vermutlich Mark Durkan von den katholischen Sozialdemokraten ernannt, der vorigen Monat zum Parteiführer gewählt worden.

Einfach wird es für Trimble nicht, seine Partei zum Mitziehen zu bewegen. Jeffrey Donaldson, ein Hardliner im Parteivorstand, äußerte sich gestern skeptisch: „General de Chastelain muss dringende Schlüsselfragen beantworten: Ist das eine einmalige Geste oder ein glaubhafter Prozess, der zur vollständigen Entwaffnung führt, wie es in den Richtlinien der internationalen Kommission vorgegeben ist?“ Der unionistische Abgeordnete Peter Weir bezeichnete die IRA-Aktion gar als „zynischen Trick“. Das sei nicht genug, um sich wieder mit Sinn Féin an einer Regierung zu beteiligen.

Von der Democratic Unionist Party des Pfarrers Ian Paisley kam die erwartete Ablehnung. „Das ist ein wertloser Eröffnungsschachzug“, sagte Paisleys Stellvertreter Peter Robinson. „Was wir benötigen, ist ein Zeitplan.“ Robinson behauptete, dass die Waffenlager der Polizei ohnehin aufgrund von Satellitenüberwachung bekannt und daher nutzlos geworden waren: „Die Frage ist, was die IRA als Nächstes ausmustert.“