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Der lange Weg zurück in die Ausgehgesellschaft
: Zwischen Herbst und Glam

Es ist wieder Herbst geworden. Dunkle Blätter fallen, weiße Nebel wallen, kühler weht der Wind. Die Zeit der Reife, Zeit des Nachdenkens ist angebrochen, und wir werden uns der eigenen Vergänglichkeit bewusst. Ab 28 ist man ja im Herbst des Lebens, und mit fast 40 kann man sich eigentlich nur noch wundern, dass man noch lebt und was erleben will, während alle anderen beschlossen haben, für immer zu Hause zu bleiben.

Warum gehen die Leute plötzlich nicht mehr aus? Dafür gibt es nur wenige Erklärungen: 1. Plötzliches Introvertiertsein (nachdenken, lesen, Briefe schreiben). Verschwindet meistens so plötzlich, wie es gekommen ist. 2. Karriere, Prüfungsstress, Pärchenlüge (neuer Freund/Freundin). Das kann länger dauern, geht aber meistens auch vorbei. 3. Vergeblichkeitsgefühle anlässlich der politischen Weltlage, Alter. Ungültige, weil vorgeschobene Gründe, die nur die eigene Faulheit vertuschen sollen. Manchmal scheint es sinnvoller „Wer wird Millionär“ und anschließend ein paar RTL-2-Horrorfilme zu gucken, statt zum Beispiel in den tollen Geheimclub in der Chauseestraße zu gehen.

Selbst wenn dort wild zu James Brown und Captain Sensible getanzt wird und angetrunkene Kunststudentinnen sich in pseudolesbischer Umklammerung auf dem Boden wälzen. Akzeptieren wir, dass es Phasen gibt, in denen der Mensch solche Bilder nicht sehen und lieber ganz für sich sein will. Aber es muss ja nicht immer das ganz wilde, verruchte Leben sein, es gibt Zwischenstufen des Ausgehens, Annäherungen ans Nichts. Man muss sich einfach ein bisschen zwingen, sich langsam wieder einzugewöhnen und die Spirale der Langeweile zurückzudrehen.

Im San Remo up flamör in der Falckensteinstraße zum Beispiel wird Samstag abends Tischtennis gespielt. Da kann man ruhig sitzen und geschlechtsspezifische Verhaltensunterschiede bei bestimmten Mannschaftssportarten beobachten. Ist man dessen müde und langweilt man sich auch im Gespräch mit dem Partner ein wenig, so sorgen fehlgeleitete Tischtennisbälle, die einem an der Stirn treffen oder unter den Stuhl kullern, für Kurzweil und Bewegung. Dermaßen aufgepeitscht kann man dann über die Oberbaumbrücke zur BP-Tankstelle am Mühlendamm, zum Brennpunkt zwischen Matrix, Ostgut, Speicher und anderen tollen Szenelocations fahren.

Ein buntes Treiben tut sich hier auf. Jugendliche im Schneidersitz blockieren scherzhaft den Weg zu den Zapfsäulen, Ulkworte pfeifen durch die Luft, das helle Klirren zu Bruch gehender Flaschen hebt die Stimmung. Ein Necken und Hecken, ein Schimpfen und Verunglimpfen befreundeter Jugendbanden klingt durch die Nacht, Zigarettenkaufen wird zum Abenteuer, und mit ein wenig Glück kann man Zeugin der schönsten Schlägerei werden.

Man muss also gar nicht immer selbst aktiv werden – auch vom Rande aus einen Blick zu riskieren, kann der erste Schritt zurück in die Ausgehgesellschaft sein. Für Fortgeschrittene empfiehlt sich anschließend ein Besuch im Glam. In der stilvollen neuen Glaslocation kann man die wunderschönen Topfpflanzen in herbstlichen Farben, die als schlichte Dekoration so ganz sich selbst genug sind, stumm auf dem Boden stehend auf sich wirken lassen. Oder, falls das interessanter scheint, die aufgeschlossenen jungen Leute beiderlei Geschlechts um einen herum beobachten. Ganz Forsche bahnen sich vielleicht sogar den Weg ins Untergeschoss, wo sich angeblich eine Tanzfläche befindet. Und schon ist man auf dem Weg zurück ins nächtliche Ausgehen.

So lässt sich der Herbst doch aushalten, und dann kommt ja schon bald wieder Weihnachten und Silvester, und wir haben wieder andere Sorgen.

CHRISTIANE RÖSINGER