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Zufallskalkül Tafelbild

Spanplatten, Spiegel und eine Lichtquelle, Styroporblüten und Billardttische: Die Wanderausstellung „Quobo – Kunst in Berlin 1989–1999“ im Hamburger Bahnhof entdeckt keine Szenen, sondern künstlerische Positionen

Nach ihrer Premiere in Hongkong ist „Quobo – Kunst in Berlin 1989–1999“, die internationale Wanderausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen, ein Jahr später an ihren Entstehungsort zurückgekehrt. Sie ist nun im Hamburger Bahnhof zu sehen, dem Museum für Gegenwart, das im November 1996 eröffnet wurde und zum künstlerischen Aufbruch Berlins in den 90er-Jahren gehört. Allerdings, die Gegenwart des Hamburger Bahnhofs war nie die der Berliner Kunst. Dagegen stand die Sammlung Marx und ihr Hohepriester Heiner Bastian, der das Publikum mit dem international Bewährten bekannt macht.

Der Ausstellungsort ist auch deshalb signifikant, weil seine Eröffnung schon das Ende des Umbruchs signalisierte, der im wieder vereinigten Berlin Künstler, Kuratoren und junge Galeristen in die einzigartige Lage versetzte, den Auf- und Umbau der Stadt für ihre Zwecke zu funktionalisieren; als temporäre Umnutzung des innerstädtischen Raums für (gegen)kulturelle Initiativen und nicht institutionelle künstlerische Plattformen. Über diese teils noch andauernden Projekte vom legendären Büro Berlin, über die Botschaft e. V., die Galerie Vincenz Sala, shift e. V., context tv, loop bis hin zur mikro lounge, informiert am Ende der Ausstellungsstrecke das Internetarchiv. Selbstredend: wenn nicht www.quobo.de very nineties ist, was dann?

Die Archivinstallation mit den zwei I-Macs und der überdimensionierten, handgewebten Wolldecke stammt von der Künstlergruppe „Inges Idee“. Sie wurde 1992 von Hans Hemmert, Axel Lieber, Thomas Schmidt und Georg Zey gegründet, um mit plastischen Interventionen im öffentlichen Raum für Irritation zu sorgen. Aber auch, wie Georg Zey sagt, „um der Isolation als Einzelkünstler zu entgehen“. Interessant nun, dass die Kuratorinnen Gabriele Knapstein und Ingrid Buschmann in ihrer Schau den einzelnen Künstler meinen. Nicht die Szene Berlin ist zu entdecken, sondern die künstlerischen Positionen.

Gemeinsamkeiten gibt es natürlich dennoch unter den vertretenen 14 Berliner Künstlern: „Raum- beziehungsweise situationsbezogene Arbeitsweisen und Fragen nach dem Kontext von Kunst sind für die hier präsentierten Werke charakteristisch“, schreiben die Kuratorinnen im Katalog. Fritz Balthaus etwa hat Spanplatten, Spiegel und eine Lichtquelle so zueinander geordnet, dass ein immaterielles Diptychon an der weißen Museumswand entsteht, weiß gleißend die eine Tafel, dunkel verschattet die andere. Ähnlich in ihrer Überlegung zum Tafelbild, aber mit dem völlig anderen Mittel des Computers und seinem Zufallskalkül, arbeitet Annette Begerow, die eine Bildkonstruktion an die Wand projiziert, deren Elemente der Rechner ständig austauscht. Es ist ein kühler, konzentrierter Empfang für den Besucher – falls der nicht den Fahrstuhl benutzt und direkt im bunten Chaos von Laura Kikaukas Schmalzwald Club landet.

Am Eröffnungsabend jedenfalls muss es spektakulär gewesen sein, aus dem Balthaus/Begerow Raum direkt auf Monika Bonvicinis Gipskartonboden „Plastered“ zu treffen, der bei jedem Schritt, bei dem man nicht auf das unterliegende Styroporgitter trat, krachend einbrach. Inzwischen ist sein Raster freigelegt, nur Eran Schaerfs Installation „La griffe africaine“ ruht noch auf einer unversehrten Insel des Gipsplattenbodens. Die französische „griffe“ ist das englische Label, über den Afrika nicht verfügt. Sein Statement geht in Richtung Globalisierungsdebatte und der Erkenntnis, schlimmer als ausgebeutet zu werden, ist es heute, nicht ausgebeutet zu werden. Afrika auch bei (e.) Twin Gabriel, die ihre Planktonzucht im Frühstadium „Limonde von Afrika (Skizze)“ nennen.

Berliner Clubkultur kommt dann mit Carsten Nicolais gleich vierfach bestücktem DJ-Pult und Karsten Konrads abgenutzen, jetzt zum Wandbild geadelten, Tanzboden aus dem Kreuzberger Lokal „Mysliwska“ ins Spiel. Den nächsten Raum füllt eine weiße Barriere aus zusammensteckbaren Styroporblüten, die von Albrecht Schäfer stammt. Auch Maria Eichhorn, die sonst eher nachdenklich-forschend in der Welt der Kunst unterwegs ist, tritt mit ihrem schiefen Billardtisch erst einmal spielerisch auf. Doch man soll sich nicht täuschen. Das ist der leise Triumpf der Schau: Obwohl die Arbeiten wegen der erforderten Reisetauglichkeit eher minimalistisch sind, behaupten sie ihr komplexes Anliegen. Es wundert also nicht, dass auch ihr Titel Kunst ist. Nämlich ein Protonym aus der Wortwerkstatt Adib Frickes, rechtlich geschützt und mit allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgestattet. Alles Quobo, oder was? BRIGITTE WERNEBURG

Hamburger Bahnhof, bis 18. November, Katalog 30 Mark

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