IST DAS PENTAGON ÜBERRASCHT, MUSS MAN DAS SCHLIMMSTE FÜRCHTEN
: Machtvoll planlos

Das Wort „surprise“ kommt im Wortschatz von Militärs eigentlich nur vor, wenn es um die eigene Strategie geht. Wer überrascht, ist dem Überaschten überlegen. Der Überraschte hat ein Informationsdefizit – weiß nicht, was ihn erwartet, und kann nur reagieren.

Bei der Einsatzplanung der US-Streitkräfte ist alles darauf ausgerichtet, eben nicht überrascht zu werden. Es wird vermessen, abgehört, mit Spähtrupps am Boden erkundet und mit Satelliten aus dem All abgehört. Wenn sich ein US-Militär überrascht zeigt, muss irgendetwas falsch gelaufen sein. Konteradmiral John Stufflebeem, der im Wechsel mit dem US-Generalstabschef Richard Myers fast täglich der Presse die Erfolgszahlen des Krieges präsentiert, rutschte das Wort jetzt heraus: „Überrascht“ sei er von der Stärke der Taliban und von ihrem Willen, an der Macht zu bleiben.

Die Statements aus dem Pentagon sind in der Regel ähnlich inhaltsleer wie einst die Verlautbarungen aus den osteuropäischen Politbüros. Wenn dann doch einmal ein außergewöhnliches Wort auftaucht, darf spekuliert werden: Wollte Stufflebeem daran erinnern, dass der Krieg wahrscheinlich nicht vor dem Ramadan vorbei sein wird? Denkbar. Aber dafür hätte es genügt, auf Bush, Rumsfeld oder Myers zu verweisen, die bei jeder Gelegenheit von einem „langen Krieg“ sprechen. Wollte Stufflebeem die eigenen Truppen loben, indem er die Gegner stärker machte, als sie sind? Auch denkbar. Aber so hoch kann das Pentagon die Taliban gar nicht loben, damit es ausreicht, die Differenz zwischen ein paar schlecht ausgerüsteten Taliban-Milizen und dem größten Militärapparat der Welt verblassen zu lassen.

Wahrscheinlicher ist aber, dass Herr Stufflebeem in einem kurzen Moment der Unachtsamkeit die hilflose Stimmung der geheimen Planungssitzungen im Pentagon erkennen ließ. Vielleicht ist der eine oder andere im Verteidigungsministerium tatsächlich überrascht, dass der Krieg gegen die schlecht ausgestatteten Taliban-Kämpfer noch nicht beendet ist. War die Überraschung der höchsten US-Militärs echt, dürfte so mancher versucht sein, sich über diese Hilflosigkeit des hoch gerüsteten Riesen zu mokieren.

Doch statt Anlass zu Spott bleibt Grund zur Sorge: Wenn die Planer im Pentagon ihre Möglichkeiten tatsächlich so überschätzt haben, dann muss man sich fragen, welche Fehleinschätzungen die versammelten Stufflebeems und Myers künftig noch werden eingestehen müssen. Es ist kaum zu glauben, dass die größte Militärmacht der Erde so chaotisch vorgeht. Aber es es gibt immer mehr Anzeichen dafür, dass es bei diesem Krieg eine langfristige Planung gar nicht gibt. ERIC CHAUVISTRÉ