Aufregung über die Giftliste

Eine geschickt lancierte „8-Milliarden-Sparliste“ erregt tout Berlin. Die SPD sagt, es handele sich um ein „Papier unter vielen“, die CDU wittert „Wahlbetrug“. Fakt ist: Ums Sparen kommt Berlin nicht rum

von ADRIENNE WOLTERSDORF

Kaum hat das Wahlvolk seine Stimme abgegeben, kramen Senatsbeamte in den Panzerschränken und holen Beweise ihrer Tätigkeit hervor. Gezielt spielen Mitarbeiter der Senatsverwaltung für Finanzen einigen Berliner Zeitungen am Donnerstag eine „8-Milliarden-Sparliste“ zu (siehe unten stehenden Kasten). Die SPD-Finanzsenatorin Christiane Krajewski distanziert sich von dem Arbeitspapier. Nur Tage zuvor präsentiert der Senat ein 135-Millionen-Sparprogramm. Die Union spricht von „Wahlbetrug“. Die Gewerkschaften „kritisieren scharf“. Das Resultat ist aufgeregtes Rauschen im Blätterwald.

Was geschieht in dieser Stadt? Dass in Zukunft in Berlin eisern gespart werden muss, ist keine Überraschung. Der rot-grüne Übergangssenat wiederholte mantraartig, dass die Ausgaben im Personalbereich des öffentlichen Dienstes um rund eine Milliarde Mark gekürzt werden müssen. Mehr war und ist nicht bekannt. Und nicht beschlossen.

Sicher ist, dass die Sondierungsgespräche zwischen den möglichen Koalitionspartnern SPD, Grüne, FDP und PDS am kommenden Montag sich ebenfalls mit der Frage „Wo sparen?“ befassen werden. Sicher ist ebenso, heißt es bei der SPD, dass die nun nach außen gedrungene „Giftliste“ ein Papier unter vielen sei, über das die koalitionswilligen Parteien verhandeln wollen.

„Eine Indiskretion“, kommentierte die Finanzverwaltung schlicht. Das vom 16. Oktober stammende Papier habe Senatorin Krajewski „weder autorisiert noch politisch bewertet und nicht mit den Senatskollegen diskutiert“. Dass es sich dabei um Überlegungen aus ihrem Hause handelt, dementierte die Chefin nicht. Sie habe ihre Mitarbeiter ausdrücklich aufgefordert, „darüber nachzudenken, wo gespart werden kann“. Immerhin zahle die bankrotte Hauptstadt ab 2002 täglich fast 12 Millionen Mark Zinsen. Jährlich rund 4,5 Milliarden Mark.

Entsetzt waren am Freitag dennoch so ziemlich alle Mitarbeiter des öffentlichen Lebens in der Hauptstadt. Denn entgegen allen Beteuerungen der Sozialdemokraten aus Wahlkampfzeiten müssten sich gemäß dem Papier Schulen (1.200 Lehrer), Hochschulen (Studiengebühr) und Kitas (2.800 Plätze) am Sparen beteiligen. Auch die Polizei sollte um 1.040 Stellen erleichtert werden. Vor den Neuwahlen hatte es aus allen Parteien kategorisch geheißen, bei der ohnehin schon im Notstand befindlichen Bildung und der inneren Sicherheit sei nicht zu sparen.

Der DGB-Landesbezirk kündigte daher postwendend „deutliche Reaktionen“ an. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) verstoße „gegen Absprachen und Zusagen“ erklärte der DGB-Vizevorsitzende Bernd Rissmann. Die CDU ließ wissen, sie werde solche Einsparungen „nicht mitmachen“ und attestierte den Sozialdemokraten „Wahlbetrug ersten Ranges“.

Nur bei der PDS und in der Kulturverwaltung des Senats sah man das Spar-Orakeln gelassen. Es handele sich um ein „politisch bedeutungsloses Verwaltungsdokument“ sagte Harald Wolf, PDS-Fraktionschef. „Eine Begleiterscheinung der Politik in einer armen Stadt“, belehrte auch Senatorin Adrienne Goehler (für die Grünen) die Aufgeregten.

Positiv äußerte sich nur Dieter Vesper, Haushaltsexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Es sei „ein Schritt in die richtige Richtung“. Krajewski selbst bestätigte, man werde bei den Wahlaussagen bleiben. was aber nicht heiße, dass es bei Bildung und Polizei „keinen zu reduzierenden Verwaltungsaufwand gebe“.

Die „Giftliste“ kann allerdings für die Union kaum überraschend sein. Schließlich ist das Papier ein Elaborat der Diepgen-Verwaltung. Angelegt 1993 unter dem damaligen Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU).

Seitdem stricken die Beamten an dem Zahlenwerk weiter. Haushälterisch korrekt. Die alltägliche Arbeit einer Finanzverwaltung eben. Die CDU hatte die interne Materialsammlung bereits letzte Woche aus der Finanzverwaltung angefordert, hieß es aus dem Senat.Und erhalten.