Scheiß-Heartbreak-Hotel

René Pollesch hat mit seiner Kapitalismuskritik eine dramatische Marktlücke gefunden, die er nun souverän ausfüllt. Sein neues Stück im Prater zeigt, wie sich das Zuhause in eine Fabrik verwandelt hat – ohne emotionale Gegenleistung

Eigentlich ist über René Polleschs Stücke längst alles geschrieben worden, seit „Heidi Hoh“ 1999 im Berliner Podewil uraufgeführt wurde. Heidi Hoh war sozusagen die Urmutter aller Pollesch-Frauen, die seitdem immer erfolgreicher ihr Unbehagen an den Lebensbedingungen des Spätkapitalismus in die Welt geschrien haben. Diesmal sind drei Pollesch-Frauen (Nina Kronjäger, Christine Groß und Claudia Splitt) im Hotel gelandet, wo man das Insourcing des Zuhause betreibt: die Einbeziehung des Konzepts „Zuhause“ in den Arbeitsprozess. Die Grenzen von Lebens- und Arbeitswelt werden immer weiter verwischt, um noch den letzten unbeackerten Rest des Lebens in den Dienst des Kapitalismus zu stellen.

Das klingt ein bisschen nach Houellebecq. Bloß ist es bei Pollesch viel komischer. Insourcing von Zuhause bei gleichzeitigem Outsourcing von Hausarbeit, so fachsimpeln Nina Kronjäger, Christine Groß und Claudia Splitt über das Serviceangebot. Das Hotel als Zuhausefabrik ohne emotionale Gegenleistung. Gefühle als Dienstleistung. Verschiedene Hotelsuiten bieten verschiedene Identifikationsangebote aus der Welt der Leistungsgesellschaft. Aus den drei schrill gekleideten Frauen sprudeln in bekannter Pollesch-Manier Wortkaskaden, die wie immer total komisch das total entfremdete Leben beleuchten.

Das Publikum ist auf Bürostühlen in der Mitte platziert. Drum herum reiht sich Guckkasten an Guckasten, Zimmer an Zimmer: lebensgroße Puppenstuben (Bühne: Bert Neumann) für Polleschs kapitalismusgesteuerte Leistungsmarionetten. Wie Sprechautomaten absolvieren sie ihre Sätze, die Managerseminaren und Soziologiebüchern abgelauscht sind und deren Botschaften sie gleichzeitig ad absurdum führen.

Zwischendurch bricht immer wieder ein hysterisches „Scheiße!“ oder „Ah!“ aus dem Schauspielerinnenmund. Damit hat Pollesch ein ebenso simples wie kongeniales Mittel gefunden, dem so genannten Subjekt, das vom Kapitalismus längst zermalmt bzw. verdinglicht wurde, eine letzte Artikulationsmöglichkeit zu verschaffen. Und weil Kapitalismuskritik bei Pollesch lustig ist, freut man sich über die vielen Pointen. Das theoretisch versierte Fanpublikum lacht und gluckst bei so schönen Sentenzen wie „Standard-Lust-Modell-Replikanten“, was einen spezifischen Typ Mann beschreibt; freut sich über den gedanklichen Link zwischen der Mobilität von Manager und Obdachlosem, bei dem die Gesellschaft offensichtlich nicht im gleichen Maße mit Prestige versehen wird.

Mit seiner lockeren Kapitalismus- und Technologiekritik hat Pollesch eine dramatische Marktlücke gefunden, die er inzwischen ziemlich routiniert ausfüllt. Wie die Produktwerbung setzt auch Polleschs Theater auf das Prinzip Wiedererkennung. Viele Sätze, die in den „Scheißhotels“ im Prater gesagt werden, hat man schon früher gehört, John Wayne als Sterilisator indianischer Squaws hat Polleschs Fantasie schon in „Heidi Hoh“ beschäftigt.

Trotzdem gibt es kleine, luzide Anzeichen für eine Weiterentwicklung des Pollesch-Systems. Da ist von den Bemühungen der „Scheiß-WHO“ die Rede, also von den Bemühungen der Weltgesundheitsorganisation, die Überbevölkerung einzudämmen. Die drei Damen steigern sich in eine aufgekratzte Rede vom „Genozid an der Überbevölkerung“ hinein und liefern die absolut hellsichtige Diagnose, dass es dabei nicht ausschließlich um die Linderung des Elends, sondern auch um die „lückenlose Durchsetzung des bürgerlichen Lebensstils“ geht.

Im Hintergrund laufen in einem Fernseher den ganzen Abend fast unbemerkt Bilder, auf denen fette Menschen hyperschlanke Hunde trainierern, ihr Fell bürsten und lauter Dinge tun, die zur Hundenatur eigentlich in eklatantem Widerspruch stehen. Über dem Fernseher wird irgendwann eine Packung Hundefutter ausgeleert. Die Hunde auf dem Bildschirm gehören zur überzüchteten Rasse der Afghanen. Als verhätschelte Luxushaustiere sind Afghanen offensichtlich die derzeit einzige Form, in der der Westen sie erträgt. ESTHER SLEVOGT

Vorstellungen: 30./31. 10., 2. und 3. 11., 20 Uhr im Prater, Kastanienallee