Mit Senf und Musik

Bratfett statt Tierpflege: Das Leben der Wurstverkäuferin Britney Pahlke – eine Berliner Erfolgsgeschichte vom Alexanderplatz

von JOCHEN SCHMIDT

Als sie klein war, hätte niemand von Britney geglaubt, wie erfolgreich sie einmal werden würde. Dass sogar Christina, ihre ewige Widersacherin, die schon Ohrlöcher hatte, als Britney sich noch mit Buntstiften schminkte, auf sie neidisch sein würde, wenn es am Ende des Tages ans Geldzählen ging. Sie wusste ja nicht, dass die Ohrlöcher davon kamen, dass Christinas Bruder ihr einmal nachts mit Vaters neuem Lederlocher einen Streich gespielt hatte. Nur Stevie, der Lottolosverkäufer vom Blindenverband hatte manchmal mehr Geld in der Kasse. Aber Lose gingen auch besser als Würste und er musste ja die Hälfte der Einnahmen an die Deutsche Schmerzliga abgeben. Britney Pahlkes Berufswunsch war nie Wurstverkäuferin gewesen und wenn, dann hätte sie gerne in einem Kiosk gearbeitet und nicht mit einem Bauchladen, auf dem sie sich immer die Finger verbrannte, wenn sie die Hände in die Taschen stecken wollte um auszuruhen, und dabei nervös mit den Würsten zu spielen, die sich dorthin verirrt hatten. Sie hatte eigentlich Tierpflegerin werden wollen. Aber als sie ihr Meerschweinchen zur Berufsberatung mitbrachte, um den Leuten zu beweisen, wie gut sie mit Tieren umgehen konnte, war es so aufgeregt, dass es kotzte und dann einfach starb.

„Naja, wenn sie schon mal hier sind, wie ist es, wollen sie denn etwas anderes werden? Wir hätten hier eine Zusatzqualifikation zur Wurstverkäuferin. Sie könnten auf dem Alex arbeiten, da ist immer was los. Und Tiere gibt’s da auch jede Menge. Sie müssten sich natürlich entsprechend kleiden, so wird das nichts, da ist es ziemlich windig. Also wenigstens ein Hemd und der BH nicht so durchsichtig. Jetzt weinen sie doch nicht, das Meerschwein war doch total hässlich und im Vertrauen, normalerweise werden die auch nicht so dick.“

Am Anfang fiel ihr die Arbeit noch schwer und sie sang vor sich hin, um sich zu trösten. Immer dasselbe Lied: „Kleine weiße Friedenstaube, fliege übers Land! Bringe allen Menschen Frieden, bist uns wohlbekannt.“ Sie verkaufte auch fast nichts, weil sie sich so schämte, dass sie sich mit dem Rücken zum Platz stellte. Sie wollte nicht, dass sie hier ein Tierpfleger sah und sie auslachte. Nur Heinz-Florian Oertel, der vor dem U-Bahneingang Abos der Berliner Zeitung verschenkte, holte sich ab und zu bei ihr einen Löffel Bratfett, um sich damit die Hände einzureiben, das war gut gegen den Frost, hatten ihm die Russen erzählt. Dann kam der große Wendepunkt in Britneys Leben, ein regnerischer Herbsttag. Normalerweise einer jener Tage, an denen die Regentropfen spritzend in ihren Grill fielen und die Würstchen sich immer trauriger krümmten. Sie sortierte sie dann nach Größe, nach Alter, nach Farbe, nach Ähnlichkeit mit ihren Ex-Freunden, manchmal fiel dabei eine Träne in die Glut und zischte wie eine Packung vakuumverpackter Intershop-Kaffee beim Aufstechen.

Aber heute war alles anders, es gab nämlich eine NPD-Wahlkampfveranstaltung auf dem Alexanderplatz. NPD, das wusste sie aus einer der Zeitungen, die ihr an windigen Tagen manchmal ins Gesicht flogen, war eine Abkürzung und hieß „Nanu, Polen ist eigentlich Deutschland?“ Weil die Jugendlichen mit den bunten Haaren vor Begeisterung so laut pfiffen, als ein junger, ordentlich gekämmter Mann die Bühne betrat, drehte sie sich um, um zu sehen, was da los war. Der junge Mann griff sich eine Gitarre und sang: „Kam ein kleiner Teddybär, aus dem Spielzeuglande her. Und sein Fell war wuschelweich, alle Kinder riefen gleich: Bummi, Bummi, Bummi Bummi brummbrummbrumm“. „Hoch die internationale Solidarität!`` rief der NPD-Bürgermeisterkandidat anschließend von der Tribüne, und es klang wie ein Echo, das sich in den Häuserfluchten dieses Platzes ein paar Jahre lang verirrt hatte.

Ein Polizist schreckte Britney aus ihren Tagträumen auf: „Eine mit Senf bitte“ – „Eine was?“ – „Ne Worscht!“ Sie war ganz verdutzt, aber natürlich, sie hatte ja Würste zu verkaufen, da musste man auch damit rechnen, dass ab und an jemand eine wollte, das hatten sie ihnen in der Schulung lange genug eingetrichtert.

Nach fünf Minuten kam der Polizist wieder: „Noch eine bitte, für die Kollegen, ach was, ich nehm gleich alle, die sind ja total lecker.“ Britney verkaufte in kürzester Zeit alle ihre Würste, sogar ein paar Abos gingen weg, mit denen sich die Polizisten verpflichteten, ihr die nächsten zehn Jahre über jeden Tag eine Wurst abzukaufen. Nach diesem Erfolgserlebnis fand sie sich immer besser zurecht in ihrem Beruf und gewöhnte sich sogar an, sich auch alle anderen Sachen, die sie zu tun hatte um den Bauch zu binden, zum Beispiel das Abwaschbecken, ihre Einkaufsbeutel oder auch mal ihren Mann. Der fand das natürlich nicht gut, vor allem, weil er sie gar nicht kannte. Sie hatte ihn bei der NPD-Veranstaltung singen hören und sich gedacht, der oder keiner. Und jetzt hing er da an ihrem Gürtel und fragte sich, was sie von ihm wollte und warum die ganze Stadt nach Bratfett roch: überall wo sie ihn hinschleppte derselbe Geruch, oder waren sie schon in Polen? Seit wann roch es denn da so lecker nach altem Fisch? Aber so wie die Häuser aussahen, konnte es hinkommen. Hoffentlich merken die nicht, dass ich Deutscher bin, sagte er sich, ich halt lieber den Mund. Das war Britney natürlich recht, sie hatte ihn ja auch nicht zum Reden ausgesucht, sondern weil er relativ klein war und niemand ihn ihr bei seinem Aussehen streitig machen würde.

Hier könnte diese Geschichte enden, aber wir wollen doch auch noch einmal an Christina denken, für die nicht viel vom Kuchen übrig blieb. Da sie nicht von ihren Würsten naschen durfte, weil sie sonst aufgrund eines Knebelvertrags zum Ersatz ihre Finger hätte abliefern müssen, blieb ihr nichts zu essen und sie wurde immer dünner. Und das, obwohl sie eigentlich fettsüchtig war und viel besser singen konnte als Britney, aber das Leben war eben manchmal ungerecht. Und Christina musste einsehen, dass Britney einfach unschlagbar war, ihr Mann brauchte nur eines seiner Lieder anzustimmen und schon strömten die Massen herbei und kauften ihr ihre Würste ab: Polizisten, Nazis, polnische Einwanderer, die der Geruch der Heimat angelockt hatte, alle kauften ihre Würste, sogar das Bratfett verputzten sie und Heinz-Florian Oertel durfte am Abend den Grill ablecken, so dass sie nicht mal abwaschen musste.