Pentagon gerät unter Erfolgszwang

Eine Neuausrichtung der Kriegsstrategie könnte darauf abzielen, dem zunehmenden Unmut in den USA über bisherige Fehlleistungen entgegenzutreten

von ERIC CHAUVISTRÉ

Bei dem militärischen Vorgehen der USA in Afghanistan kündigt sich erneut eine Kehrtwende an. Offenbar planen die USA jetzt die Einrichtung eines dauerhaften Stützpunkts in der Nähe der Stadt Masar-i-Scharif im Norden des Landes. Wie die Zeitung USA Today unter Berufung auf hochrangige Beamte im US-Verteidigungsministerium berichtet, sollen auf der Basis bis zu 600 US-Soldaten stationiert werden, um von dort aus Einsätze von US-Spezialeinheiten zu unterstützen. Bislang werden die geheimen US-Kommandos von Stellungen in Pakistan oder von dem Flugzeugträger „Kitty Hawk“ aus an ihre Einsatzorte geflogen.

Überlegungen, im Norden Afghanistans einen US-Stützpunkt für Bodentruppen einzurichten, gibt es schon länger. Neu ist allerdings, dass dies nun offenbar schon passieren soll, bevor die Truppen der Nordallianz die Stadt Masar-i-Scharif eingenommen haben. Treffen die Berichte zu, würde dies darauf hindeuten, dass das Pentagon nicht mehr mit der baldigen Einnahme der Stadt und des nahe gelegenen Flughafens durch die Nordallianz rechnet. Vertreter der Nordallianz versuchten gestern dieser Einschätzung entgegenzutreten. Ein Sprecher eines Kommandeurs kündigte für die nächsten „zwei bis drei Tage“ einen neuen Angriff auf Masar-i-Scharif an.

Nicht nur die Stärke der Taliban, auch die Kampfkraft der Nordallianz ist für das Pentagon offensichtlich schwer einzuschätzen. Noch vor zwei Wochen waren US-Militärs von einer baldigen Einnahme der Stadt durch die Nordallianz ausgegangen. Gleichzeitig wurde die Nordallianz als so stark eingeschätzt, dass die US-Regierung womöglich besorgt war, die Truppen könnten zu schnell auf Kabul vorrücken und damit eine breite Koalition aller Oppositionsgruppen verhindern.

Am 17. Oktober hatte Präsident George W. Bush allerdings erklärt, die US-Luftangriffe sollten „befreundete Truppen am Boden“ unterstützen – womit nur die Truppen der Nordallianz gemeint gewesen sein konnten. Alle offiziellen Erklärungen des Pentagons lassen aber offen, welche Rolle die Nordallianz in der US-Planung genau spielen soll. „Es wäre nicht richtig, zu sagen, dass wir notwendigerweise unsere Pläne mit ihren vermischt haben“, sagte Pentagon-Sprecher John Stuffelbeem.

Erst vor einer Woche hatte die US-Luftwaffe damit begonnen, Taliban-Stellungen gezielt dort anzugreifen, wo sie Nordallianz-Truppen gegenüberstehen. Bislang war diese Strategie von mäßigem Erfolg. Zweimal trafen die US-Bomben dabei nicht Stellungen der Taliban, sondern landeten hinter den Linien der Nordallianz. Bei einem dieser Angriffe wurden nach Angaben der Nordallianz mehrere Zivilisten getötet oder verletzt.

Offenbar fällt es der US-Regierung auch schwer, ihre Einsätze mit denen der Nordallianz-Milizen abzustimmen. „Wir arbeiten sehr hart daran, so viel Kontakt wie möglich mit den Truppen der Nordallianz aufzunehmen“, sagte der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz in einem Gespräch mit einer britischen Tageszeitung. Nach Angaben der Nordallianz halten sich allerdings schon etwa 20 zum Teil bewaffnete US-Militärs in ihren Reihen auf, offenbar um die Zusammenarbeit zu koordinieren.

Die sich jetzt abzeichnende Neuausrichtung der US-Strategie und eine wenn auch kleine Truppenpräsenz der USA in Afghanistan hat offenbar auch mit dem Mangel an sichtbaren Erfolgen im Afghanistankrieg zu tun. Erst am Wochenende forderte der populäre Senator John McCain eine groß angelegte Offensive mit Bodentruppen. Zumindest für eine begrenzte Zeit befürwortet der einstige Rivale von George W. Bush beim Kampf um die republikanische Präsidentschaftskandidatur eine Stationierung von US-Truppen in Afghanistan. „Mit Luftstreitkräften allein kann das Ziel nicht erreicht werden“, sagte McCain.

Mit der Forderung steht der Senator nicht allein innerhalb der politischen Führungselite. Auch der Führer der demokratischen Minderheit im Repräsentantenhaus, Richard Gebhard, erklärte, er würde die Entsendung von weiteren Bodentruppen unterstützen. Präsident Bush steht also unter politischem Druck. Mit der Einrichtung eines permanenten Stützpunktes in Afghanistan könnte er der amerikanischen Öffentlichkeit einen sichtbaren Erfolg präsentieren.