Vorauseilender Ernstgehorsam

Die Spaßgesellschaft hat doch einen prominenten Abgang zu vermelden: Das aus Abgeordneten fast aller Parteien bestehende Bundestagskabarett „Die Wasserwerker“ verzichtet nach den Anschlägen in den USA vorerst auf Auftritte

Auch in der deutschen Politik ist es nun mit dem Spaß vorbei. Gerhard Schröder bei „Wetten dass..?“ – unmöglich. Guido Westerwelle im Big-Brother-Container – unvorstellbar. Selbst Jürgen Möllemann wird nur in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Deutsch-Arabischen Freundschaftsgesellschaft in die Talkshows eingeladen. Auch im Fernsehen ist alles ein bisschen ernster geworden. Als die RTL-Comedy „7 Tage – 7 Köpfe“ nach einwöchiger Pause infolge der Terroranschläge in den USA wieder anlief, musste sich Rudi Carrell von BILD die Frage gefallen lassen, ob man denn schon wieder lachen dürfe.

Das Leben geht weiter, hatte dagegen New Yorks Bürgermeister Giuliani unmittelbar nach den Anschlägen gesagt und die Leute zum Besuch der Broadway-Theater aufgefordert. Ganz im Giulianischen Sinne beschlossen auch die Organisatoren der traditionell im Oktober stattfindenden Lachmesse in Leipzig, das größte europäische Humor- und Satire-Festival nicht ausfallen zu lassen. Eine Kabarettgruppe sagte ihren geplanten Auftritt in Leipzig jedoch ab: „Die Wasserwerker“, die Kabarettgruppe des Deutschen Bundestages. Der Name rührt noch aus der Gründungszeit 1992 her, als das Parlament zeitweise im Bonner Wasserwerk untergebracht war. Mit dem Parlament waren auch die Laienkabarettisten in Berlin, einer Hochburg des Kabaretts, angekommen. Dort traten sie erstmals vor einem Jahr mit ihrem Programm „K(l)eine Spree-Renzchen“ auf.

Doch das Witzeln über die eigene Zunft hat vorerst ein Ende, denn seit den Terroranschlägen in den USA pausiert die aus neun Abgeordneten aller Parteien – außer der PDS – bestehende Spaßfraktion des Hohen Hauses. Vorauseilender Ernstgehorsam? Keineswegs, findet „Wasserwerker“-Chefin Ulrike Mehl, die seit 1990 für die SPD im Bundestag sitzt. Es hätte aber sein können, dass noch wichtige Entscheidungen im Parlament zu treffen gewesen wären. Ein paar Tage danach als Kabarettist aufzutreten – „das wäre einfach nicht gegangen. Da wollten wir kein falsches Bild aufkommen lassen.“ In gewisser Hinsicht hat die weltpolitische Entwicklung der SPD-Abgeordneten recht gegeben, denn die Ankündigung des Bundeskanzlers, dass der Bundestag bald über die Beteiligung der Bundeswehr an Militäreinsätzen entscheiden müsse, ließ nicht lange auf sich warten.

All das trübt natürlich die Lust der sonst sehr humorbereiten „Wasserwerker“, die eigene Abgeordnetentätigkeit zu transzendieren. Zumal es ein sehr zeitaufwändiges Hobby ist, vor jedem Auftritt stehen schließlich einige Proben an.

Bis Jahresende ist nun erst mal Schluss mit lustig im Bundestags-Kabarett. Der Auftritt in Leipzig aber soll im Frühjahr nachgeholt werden. Mutmaßungen, „Die Wasserwerker“ würden sich aus Satirescheu infolge der ernsten Weltlage ganz auflösen, wies die zu den Gründungsmitgliedern gehörende Laienkabarettistin Ulrike Mehl zurück. Allerdings werde man nach der Bundestagswahl in einem Jahr weitersehen, ob dann überhaupt noch alle Abgeordneten an Bord seien. Nicht zuletzt der Wähler entscheidet also, ob die Spaßgesellschaft weiterhin eine Außenstelle im Deutschen Bundestag hat. Weniger bemerkenswert als die parteipolitische Herkunft der aktuellen Kabarettisten – Rot-Grün stellt mit fünf Abgeordneten auch hier die Mehrheit, außerdem sind je ein CDU-, CSU- und FDP-Abgeordneter dabei – ist übrigens die geografische. Die meisten Mitglieder kommen aus Schleswig-Holstein, neben Ulrike Mehl noch drei weitere Parlamentskabarettisten. Von wegen die Norddeutschen hätten ein Humorproblem. GUNNAR LEUE