: Geisteswissenschaftler fühlen sich wie Stiefkinder
Marburgs „Perspektiva“ ist eine der wenigen selbst organisierten Uni-Kontaktbörsen. Nur die Philologen schmollen über „ihr“ Angebot: Zeitarbeit
BERLIN taz ■ Michaela Naumann ist Studentin. Und Unternehmerin. Im kommenden Jahr ist sie mit der Uni fertig. Dann will sie beruflich durchstarten – am liebsten im Bereich Event-Marketing. Derweil übt sie sich schon mal in Organisation, Vertragswesen und Marketing. Und verhilft nebenbei so manchem Kommilitonen zu einem Job. Gemeinsam mit sechs Mitstudenten ist Michaela Naumann Gesellschafterin der „Perspektiva Marburg“ – und organisiert die Absolventenmesse an der Philipps-Universität. Gestern fand sie zum zweiten Mal statt.
Beim Übergang ins Berufsleben fühlen sich viele Studenten von der Uni allein gelassen. Bisher sind es vor allem große, bundesweite Absolventenmessen wie Forum in Köln (28./29. November), die Arbeitgeber und Absolventen zusammenbringen. An den wenigen Unis, an denen sich inzwischen Ableger gegründet haben, gehen diese wie etwa in Passau meist auf studentische Initiativen zurück. Die Einsicht, dass ein erfolgreicher Karrierestart ihrer Zöglinge auch eine Visitenkarte für die Hochschule selbst ist, setzt sich bei Rektoren und Dozenten nur zögerlich durch. „Es ist nicht die originäre Aufgabe der Uni, für Jobs zu sorgen. Darum müssen sich die Studenten schon selbst kümmern“, rechtfertigte ein Sprecher der Philipps-Universität das zögerliche Engagement der Alma Mater.
Die Marburger Studenten haben aus der Not eine Tugend gemacht. „Wir wissen selbst am besten, wo es mangelt“, sagt Michaela Naumann, „welche Fachbereiche ohnehin schon gefördert werden und welche nicht“. Bei den Kommilitonen ist der Bedarf an Orientierung groß. Rund 1.500 Studenten aus allen Fachbereichen kamen im vergangenen Jahr zur Pilotveranstaltung. Doch gerade die Sorgenkinder der Berufsberater, die Geisteswissenschaftler, dürften es auch auf der Marburger „Perspektiva“ schwer haben bei der Suche nach einem potenziellen Arbeitgeber.
Noch ist das Spektrum der Firmen, die sich auf der Messe präsentieren, begrenzt. Neben den Consulting-Firmen Arthur Andersen und Boston Consulting Group, der Fraport AG und Procter&Gamble haben sich Unternehmen aus dem Biotechnologie-Sektor wie die Aventis Behring GmbH oder Biodata Application Security angemeldet. Bereits bei der Auswertung der letzten Perspektiva gaben die befragten Studenten an, dass sie sich mehr Firmen aus der Verlags- und Medienbranche, aber auch aus dem Bankensektor und dem Non-Profit-Bereich gewünscht hätten. Die fehlten auch in diesem Jahr.
Die Organisatoren haben die Kritik der Kommilitonen ernst genommen. Viele der Vorträge, die parallel zu den Firmenpräsentationen stattfanden, richteten sich nun speziell an Geisteswissenschaftler: So beschrieb eine Redakteurin des Hessischen Rundfunks, wie sie als Kunsthistorikerin auch jenseits von schlecht bezahlten Projektverträgen am Museum ihren Traumjob fand. Das Hochschulteam des Marburger Arbeitsamtes informierte über „Berufs- und Tätigkeitsbereiche für Geistes- und Sozialwissenschaftler“. Und auch wer danach noch keine Einladung zum Vorstellungsgespräch erhielt, brauchte nicht zu verzagen – gleich zwei große Zeitarbeitsfirmen präsentierten sich auf der Messe.
Die Organisatoren haben auch an kleinere Betriebe aus der Region gedacht, die nicht viel Übung mit Absolventenmessen haben. Ihnen haben sie ein eigenes Leistungspaket geboten: Standaufbau, Internetauftritt, Anzeige im Messekatalog und Räumlichkeiten für Einzelgespräche, zum Komplettpreis von 3.100 Mark.
Bei den Unternehmen kommt die Eigeninitiative der Studentengruppe gut an, sagt Michaela Naumann. Kein Wunder, stellt die überschaubare Messe für sie doch eine gute Möglichkeit dar, sich im besten Licht zu präsentieren – ohne Dutzende von Konkurrenzfirmen.
Den Organisatoren kann das nur recht sein. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete das Perspektiva-Team sogar einen Gewinn – und spendete das Geld an die Unibibliothek. Damit die Unizeit wenn schon keinen Job, so doch zumindest erfolgreiches Lernen verspricht. NICOLE MASCHLER
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