„Ich danke bestens für einen PDS-Chef“

Richard Schröder, SPD-Vordenker aus dem Osten Deutschlands, über den Anspruch der PDS aufs Mitregieren, einen Gregor Gysi als Senator und die mögliche Zunahme der Demokratieverdrossenheit im Osten

taz: Fast 50 Prozent der Wähler im Osten Berlins haben PDS gewählt. Trotzdem strebt die SPD eine Regierung ohne PDS an. Ist das zehn Jahre nach der Einheit nicht ein bißchen ignorant?

Richard Schröder: Die CSU kriegt in Bayern laufend 50 Prozent der Stimmen. Wer ist je auf die Idee gekommen, dass die CSU seit 40 Jahren diskriminiert wird, bloß weil sie nie einen Kanzler stellen durfte?

Aber in Bayern bestimmt die CSU, wo's langgeht.

Berlinweit ist die PDS knapp über zwanzig Prozent gekommen. Daraus kann die Partei keinen Anspruch aufs Mitregieren ableiten. Auch wenn Gregor Gysi das unter der Hand immer so darzustellen versucht.

Tatsache bleibt doch aber, dass die Mehrheit der Wähler im Osten ausgeschlossen wird?

Das sind so quasi menschlich-moralische Argumente, die ich nicht akzeptiere. Da heißt es, die PDS muss mitregieren, sonst sind die beleidigt, sonst sind die gekränkt, sonst werden die nicht zur Demokratie geführt. Erziehungskoalitionen werden hier ständig empfohlen! Mitleidskoalitionen! Die wollen auch mal Senator werden? Vielleicht will ich auch mal Senator werden! Das ist alles sehr originell, aber es wird beiseite gelassen, ob die PDS das richtige Programm hat und die richtigen Leute.

Bei der Vorstellung von Gregor Gysi als Senator waren selbst Westler angetan.

Gysi in Ehren, aber ich bin ja in Berlin Hochschullehrer. Ich danke bestens für einen PDS-Chef! Ich glaube nicht, dass die Rahmenbedingungen für meinen Beruf verbessert werden durch einen PDS-Senator. Da bin ich Egoist und sage: Habt Ihr nicht einen besseren?

Sie lehnen Rot-Rot prinzipiell ab?

Ich bin da noch beim Abwägen. Aber jetzt kommen dauernd Leute und sagen, wir verstehen ja deine Einwände, aber du mußt das höhere Ziel der inneren Einheit sehen. Mich regt das furchtbar auf, weil ich da eine gewisse Kontinuität sehen kann. Wir, die wir zur DDR-Zeit mit der SED nicht so richtig zufrieden waren und heute aus ähnlichen Gründen die PDS nicht als den Glanz der Menschheit ansehen, stehen als die dummen Nörgler da.

Woran liegt das?

Die PDS bringt eine nicht unwesentliche Organisationsmacht auf, und die Medien sind in Gregor Gysi und das PDS-Thema verliebt. Mit der Skepsis gegenüber der PDS gerät man in einen Rechtfertigungsdruck. So wie es früher als anständig galt, die DDR für einen ganz normalen Staat zu halten, gilt die PDS inzwischen als ganz normale Partei. Wenn ich dagegen etwas schreibe, bekomme ich gleich zu hören, ich würde die politischen Optionen der SPD beschränken.

48 Prozent Wählerstimmen sind ein starkes Argument. Ohne Druck des Kanzlers hätte die Berliner SPD sich wohl für Rot-Rot entschieden.

Aber die Zahlen erwecken einen falschen Eindruck. Man darf sich ja nicht an 48 Prozent festhalten, deren Wille angeblich übergangen wird. Nirgends ist die Wechselwählerschaft so groß wie im Osten. Von den 48 Prozent wählen beim nächsten Mal 18 Prozent ohne mit der Wimper zu zucken wieder was anderes. Alleine schon wenn bei der nächsten Wahl nicht das Thema Pazifismus aufs Tapet kommt, können Sie acht Prozent abziehen. Und dann gibt es nicht wenige, die wählen PDS, wollen aber nicht, dass sie regiert. Die glauben, man infiziert sich, wenn man in diesem angeblich kaputten System die Macht anfasst.

Besteht aber nicht die Gefahr, dass von Berlin ein Signal ausgeht, das die Demokratieverdrossenheit im Osten weiter stärkt: Ihr dürft zwar wählen, wen ihr wollt, aber eine Stimme für die PDS ist eine verschenkte Stimme?

Das Phänomen gibt es doch schon. Der Vergleich ist zwar nicht beliebt, aber dass Stimmen an rechtsradikale Parteien verschenkt sind, da ist sich die ganz überwiegende Mehrheit in Deutschland einig.

Das sollte auch für die PDS gelten?

Die PDS ist in Berlin im Parlament. Die PDS stellt Bürgermeister in den Bezirken, die können sich freuen, dass sie viel zu sagen haben. Mir leuchtet nur nicht ein, warum sie noch eine Etage höher das Sagen haben müssen.

INTERVIEW: PATRIK SCHWARZ