Der Lieblingsfeind in all seinen Facetten

■ Ein Mann, vier Kinos und zahllose Filme: Klaus Kinski-Retrospektive im November

Nikolaus Karl Günther Nakszynski, geboren 1926 im deutschen Niemandsland Zoppot suchte die Ekstase. Die große Geste für die noch größere Empfindung, die nur ein Ausersehener verspüren kann. Als Klaus Kinski nahmen der Exhibitionismus, die Exaltiertheit und die Maßlosigkeit Gestalt an. Er war Jesus, Paganini, Villon, Dostojewskijs Idiot, Edgar Allan Poe, Marquis de Sade, Nosferatu, Jack the Ripper. Und weil method acting nur etwas für „amerikanische Wichtigtuer“ war, erklärte sich Kinski, den Metropolis, B-Movie, Lichtmeß und das Filmhaus im November ausgiebig würdigen, gleich zur Reinkarnation seiner Helden.

Es sollte um alles gehen. Auf der Bühne, vor der Linse und privat. Um Leben und Tod, Liebe und Verrat. Morddrohungen gingen ihm ebenso flott über die Lippen wie Liebeschwüre. Zuneigung gab es nur als Vergötterung, Sex nur als olympische Disziplin mit Endsieg-Charme – glaubt man den autobiografischen Enthüllungen (Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund).

In über 150 Filmen wirkte Kinski mit. Nach eigenen Angaben hat er die meisten davon nur aus einem Grund gedreht: Geld. Er wusste um seinen Wert, wusste, dass er als deutsche Export-Visage seinen Preis nennen konnte. Denn als Fratze des Bösen, die den Nazi schlechthin noch in die kleinsten Halunkenrolle hineinschillern lassen sollte, wurde er gebucht. Er hatte die Frechheit, Angebote von Visconti, Pasolini und auch Spielberg abzulehnen. Und über Fellini köterte er: „Dieses Schwein, diese fette Sau, die bezahlt ja nichts!“ Aller Renintenz und Egomanie zum Trotz spielte er für Sergio Corbucci, Sergio Leone, O.W. Fischer und David Lean. Er spielte neben Rita Hayworth, Romy Schneider, Claudia Cardinale, Clint Eastwood oder Alan Delon.

Das „deutsche Grauen“, wie Georg Seeßlen nach Kinskis Tod im Jahr 1991 notiert, zog durch die Welt. Für einen wie ihn war im deutschen Nachkriegskino kein Platz. Mit einem wie ihm ließ sich das Deutschlandbild einfach nicht verschönern. Den Italienern kam er gerade recht. Nicht nur für A- sondern vor allem für die B-Ausgaben der Spaghetti-Western wie Töte Amigo. Lukrative, schnelle Nebenrollen. “Schließlich konnte niemand Kinski länger als drei Drehtage ertragen“, vermutet die Ausnahme der Regel, Werner Herzog.

Klaus Kinski hatte ein Gesicht, in dem alles etwas zu groß war. Hypertroph, überspannt und so unsymmetrisch, wie es die Verbrecherphysiognomie der Kleinsparer festlegt. Für den Rest gab er den Erwählten, die debile Karikatur des genialischen Wesens oder zumindest dessen, was sich das Bildungsbürgertum seit der Romantik darauf zusammenreimte. Männlichkeit, Machtgier und Martyrium – ein wuchtiger Dreiklang, mit dem Kinski sich selbst und seine Figuren untermalte. Genau die Ausstrahlung also, die sich Werner Herzog von Woyzeck, Fitzcarraldo bis Cobra Verde zunutze machte.

Aufgewachsen ist Klaus Kinski in bitterster Armut als Sohn eines ungeliebten und erfolglosen Opernsängers. Mit dreizehn jobbt er als Kohlenschlepper, bei der Müllabfuhr und wäscht Leichen. Mit sechzehn wird er von der Wehrmacht eingezogen. Doch der Mann, der sich selbst als „Vollstrecker“ im Gewaltkreislauf der Natur einordnete, mag nicht töten und schon gar nicht getötet werden. Er desertiert.

In Erinnerung bleiben wird Kinski als Leinwandmythos des hässlichen Deutschen, der sich vernichtet, indem er alles um sich verwüstet. Als kahles Geschöpf mit schlechter Durchblutung, das in Nosferatu an zu wenig Liebe und zu viel Tageslicht zerbricht. Als flüsternder Kopfgeldjäger vor unüberschaubarer Landschaft oder als Exekutive des Allmächtigen. „Ich bin der Zorn Gottes“, droht Kinskis als Aguirre, schnappt sich eines von hundert Äffchen, glotzt ihm bösartig in die Augen und schmeißt es in den Fluss.

Birgit Glombitza

diese Woche: Babyboy, Ludwig II., Der scharze Abt von Edgar Wallace, Die Gruft mit dem Rätselschloss, Aguirre, Töte Amigo, Mein Liebster Feind, Zeiten und Kinos siehe Programm