Astronauten im Höllen-Zirkus

■ Companhia de Dance Deborah Colker auf Kampnagel

„Meine Arbeit ist wie Brasilien“, sagt die Choreographin Deborah Colker, „voll Buntheit, Dynamik, Rhythmik, Glücksgefühl und Ehrgeiz.“ Und mit Ehrgeiz und Beharrlichkeit treibt die 39jährige ihre Arbeit voran. Colker beschreibt ihren eigenen Stil als „Bewegung auf der Suche nach Unterhaltung“ oder „intelligente Empfindung“. In der Tanzwelt hat sie einen klangvollen Namen, obwohl die von ihr vor sieben Jahren gegründete Companhia de Danca Deborah Colker es bislang auf nur fünf Abend füllende Stücke bringt.

Ihre Popularität verdankt sie einer großen visuellen Kraft, die den Zuschauer an der Hand nimmt und ihn direkt zur Bewegung einlädt. Dabei nutzt Colker im Bühnenraum mehr als nur den Boden. Sie füllt ihn mit großen Bildern, die ihren Tänzerinnen und Tänzern häufig athletisches Können abverlangen. Ihren größten Erfolg feierte sie mit dem 1997 entstandenen Stück Rota, dessen Deutschlandpremiere heute auf Kampnagel zu sehen ist. Ausgerechnet ein Besuch der trashigen Disney World 1995 gab ihr hierzu die Initialzündung. In Rota zeigt das 15-köpfige Ensemble, darunter auch die Meisterin selbst, in einem ersten Teil Alltagshandlungen, wie arbeiten, schlafen, essen. Tänzerisch aufgeteilt in vier unterschiedliche Temperamente. Der zweite Akt gleicht einem Traum, die Tänzer werden zu Astronauten in einem bizarren Himmel-Höllen-Zirkus. Im zweiten Teil errichtet Colker auf der Bühne ein sieben Meter hohes und anderthalb Tonnen schweres, von Leitern umgebenes Rad. Die Assoziation an Kubricks Film 2001 - Odyssee im Weltraum ist kein Zufall. Scheinbar schwerelos erobern die Tänzer das sperrige Objekt und bespielen es. Am Ende verwandeln sie sich gar in menschliche Kettenkarussels. Die Tanzpassagen hat Colker mit einem wirr gesampelten Soundtrack aus Mozart, Chemical Brothers, Richard Strauss und Tangerine Dream unterlegt.

So bewegt wie die von ihr gezauberten Bilder verlief auch das Leben der Deborah Colker. Der Vater ist Geiger und Dirigent, sie nahm Klavierstunden, beschäftigte sich mit Psychologie und wurde für einige Jahre Profi-Volleyballerin. Mit 17 erlernte sie den Tanz, und der ließ sie nicht mehr los. Mit ihren vielen Ideen musste sie bald auf die Bühne, choreographierte unter anderem Werner Herzogs Sommernachtstraum. Daneben unterrichtete sie und gründete schließlich ihre eigene Companhia. Das erste eigene Stück Vulcao (Vulkan) eröffnete das Glob em Movimento-Festival in Rio. In Velox von 1995 stellte sie eine riesige bunte Kletterwand auf die Bühne, die die Tänzern erkraxeln mussten. Casa wiederum handelte von der Architektur von Körpern und zeigte das Zusammenwohnen von Menschen.

Die Menschen in ihren alltäglichen Rollen sind ihr künstlerischer Antrieb, aber auch Wasser und Wind. Mehr als 200.000 Menschen haben Rota in Europa bereits bejubelt. Heute werden es womöglich einige mehr. Annette Stiekele

1.+3. November, 20 Uhr, Kampnagel (k6)