Dienstbeginn 18 Uhr

21.000 junge Männer müssen heute zur Bundeswehr. Malik will jeden Befehl verweigern, Max nur ein bisschen von zu Hause wegkommen

von PLUTONIA PLARRE

Sie sind 19 Jahre alt, gerade mit der Schule fertig und gehen zur Bundeswehr. Das ist aber auch das Einzige, was Malik S. und Max V., die sich nicht kennen, verbindet. Heute ist Stichtag. Unter den zahlreichen jungen Berlinern, die sich bis spätestens 18 Uhr in den Kasernen zum Dienstantritt melden müssen, wird sich nur Max V. befinden. Malik S. will sich noch etwas Zeit lassen. Der überzeugte Pazifist und Kriegsgegner plant eine harte Nummer. Erst kommenden Samstag will er sich bei seinem Sanitätsregiment in Itzehoe melden und fortan jedem Befehl seiner Vorgesetzten den Gehorsam verweigern. So einer wie Malik S. nennt sich Totalverweigerer.

Max V. ist im Bezirk Mitte groß geworden. Für den Sohn eines Grafikers und einer Jugendgerichtshelferin – „Ich bin ein glückliches Einzelkind“ – hat es zur Bundeswehr nie eine Alternative gegeben. Auch den Zivildienst nicht, der immerhin von 38 Prozent aller Wehrpflichtigen absolviert wird, die nicht zum Militär wollen. Fast alle seine Freunde seien zum Bund gegangen, sagt Max. „Aus Bequemlichkeit, weil sie keine Lust hatten, Anträge zu schreiben und sich mit einem Psychiater zu unterhalten.“ Im Gegensatz zu seinen Kumpels hat sich Max ganz bewusst für den Wehrdienst entschieden. Nicht aus politischen oder ideologischen Gründen. „Ich bin eigentlich ein unpolitischer Mensch, der sich, wenn überhaupt, eher von der linken Richtung angezogen fühlt.“ Der Realschulabsolvent empfindet die Einberufung zum Panzer- und Flugabwehrkanon-Lehrbattaillon in Luetjenburg bei Kiel als Chance, „mal ein bisschen von zu Hause wegzukommen“.

Den Entschluss, der Bundeswehr in der Höhle des Löwen die Stirn zu bieten, hat Malik lange vor Beginn der Bombardierung Afghanistans gefasst. Der Feldzug der Amerikaner hat den in Reinickendorf aufgewachsenen Sohn einer deutschen Finanzbuchhalterin und eines irakischen Ingenieurs lediglich in der Auffassung bestärkt, dass durch Kriege keine Konflike gelöst, sondern neue Leiden verursacht werden. Bislang hat Malik gegen Militäreinsätze immer nur demonstriert. Jetzt sieht er als Totalverweigerer die Chance, mit den Vorgesetzen und Rekruten in eine direkte Auseinandersetzung zu treten. Total verweigern, das heißt im Fall von Malik: Er hat sich ganz normal mustern lassen. Nur ganz ganz viel Kaffee getrunken hat er zuvor, um den Puls hochzutreiben. Außerdem hat er verschwiegen, dass er ein Jiu-Jitsu- und Mathematikgenie ist. Das brachte ihm die Eingruppierung beim niederen Sanitätsregiment ein. Was für eine Laus man sich da in den Pelz gesetzt hat, soll die Bundeswehr spätestens am Samstag wissen. „Ich werde auf alle Befehle den Gehorsam verweigern“, sagt Malik selbstbewusst. Er werde nicht wegtreten, keine Uniform anziehen und seine Hemden nicht auf DIN-A4-Größe falten.

Max möchte eigentlich Video- und Filmeditor werden. Ein Ausbildungsplatz war aber trotz zahlreicher Bewerbungen und der Note 2,0 in seinem Abschlusszeugnis bisher nicht zu finden. „Da kam die Einberufung eigentlich ganz günstig.“ Geld spiele auch eine Rolle. Als Kanonier bekommt er 758 Mark im Monat. „Ich mag meinen Eltern nicht länger auf der Tasche liegen. Es ist stressig, ständig nach Geld zu fragen und zu erklären, wo es hin ist.“ Vom Wehrdienst erhofft Max sich aber auch Erkenntnisse für sein Leben. Schießlich müsse er sich in einem zusammengewürfelten Haufen fremder Leute zurechtfinden. Und er ist gespannt, wie er mit dem Kommandoton und dem Angeschnauztwerden klarkommt, wenngleich er meint: „Das ist heute nicht mehr so schlimm wie früher.“ Nicht zuletzt freut er sich darauf, Militärtechnik kennen zu lernen, auch wenn sich sein Wunsch, zu den Fallschirmjägern zu kommen, nicht erfüllt hat. „Wann hat man später noch mal die Chance, mit einem Gewehr zu schießen?“

Für Malik wird es kommen, wie es in solchen Fällen immer kommt. Wenn er den Gehorsam verweigert, wird gegen ihn eine Diziplinarmaßnahme verhängt und er wandert in den Arrest. Der dauert 7 bis maximal 21 Tage und wird in einer sechs bis neun Quadratmeter großen Zelle vollstreckt. Einziges Inventar: Stuhl, Tisch, Klo, Waschbecken und eine Pritsche, die tagsüber hochgeklappt wird. „Wenn der Arrestierte nach den ersten 21 Tagen immer noch unbeugsam ist, wird das Spielchen bis zu viermal wiederholt“, weiß Ralf Siemens von der Kampagne gegen Wehrpflicht. Spätestens nach 84 Tagen könne Malik aber damit rechnen, dass er mit einem sofortigen Dienstverbot von der Truppe entfernt werde. Dann dürfte es Januar sein. Es folge dann noch ein Strafverfahren wegen Gehorsamsverweigerung.

Malik gehört zu einer absoluten Minderheit. Von den rund 120.000 bis 145.000 Wehrpflichtigen, die pro Jahr bundesweit einberufen werden, sind nach Schätzung der Kampagne gegen Wehrpflicht höchstens 150 bis 200 Totalverweigerer. Die Bundeswehr gibt darüber gar keine Zahlen heraus.

Was für Auswirkungen der Krieg in Afghanistan auf die Wehrbereitschaft der jungen Leute hat, ist noch nicht ausgemacht. Ralf Siemens von der Kampagne gegen Wehrpflicht vermutet, dass die ohnehin schon sehr hohe Quote von 172.000 Verweigerern pro Jahr noch weiter steigen wird. Max V. dagegen hat der Krieg nicht von seiner Entscheidung abgebracht. Auch nicht, als sein Vater ihn bat, er möge es sich aufgrund der aktuellen Lage doch noch einmal überlegen. „Ich habe ihm gesagt, dass ich andere Beweggründe habe, zur Bundeswehr zu gehen. Nicht weil ich Krieg gut finde und Deutschland schützen will.“

Malik ist bei seinen Eltern zunächst auch nicht gerade auf Verständnis gestoßen, als er sich als Totalverweigerer outete. „Dabei haben sie mich doch so erzogen“, sagt er. Aber nicht alle Ursachen für seinen Pazifismus sind in seiner Familiengeschichte zu suchen. Maliks Cousin ist im Krieg Iran gegen Irak gefallen, der Onkel kam aus der Kriegsgefangenschaft nicht zurück. Fast noch wichtiger ist für Malik, dass er sich den Anarchisten zurechnet. „Was ich mir vornehme, ziehe ich durch.“ In der Minderheit zu sein ist er gewohnt, seit er das Georg-Herweg-Gymnasium in Reinickendorf besuchte, auf das Leute vom Schlag des CDU-Fraktionschefs Frank Steffel zu gehen pflegen. „Die Totalverweigerer kommen in der Regel nicht aus dem Norden Berlins“, feixt der 19-Jährige. „Im Normalfall interessieren sich die Jugendlichen dort eigentlich nur für Politik, wenn das Benzin teurer wird.“