„Migrantinnen mussten putzen“

25 Jahre Frauenhaus: Die Sozialwissenschaftlerin Nadja Lehmann über alte Gewissheiten und neue Probleme

taz: Als die ersten Frauenhäuser entstanden, hatten deren Gründerinnen vor allem weiße, deutsche Frauen im Auge. Heute sind 50 bis 80 Prozent der Bewohnerinnnen nichtdeutscher Herkunft. War man darauf vorbereitet?

Lehmann: Nein. In den 90er-Jahren waren die Mitarbeiterinnen in der Regel völlig überfordert: Nicht nur wegen der Sprachprobleme, sondern auch, weil es plötzlich an Zufluchtsorten, an denen eigentlich alle gleich sein sollten, Hierarchisierung und Rassismus gab. Dass Migrantinnen putzen mussten, während die Deutschen den sehr viel angenehmeren Telefondienst hatten, war keine Seltenheit. Ein Frauenhaus ist schließlich auch nur ein Spiegel der Gesellschaft.

Und die Mitarbeiterinnen? Auch in weiten Teilen der Frauenbewegung hat man sich doch mit dem Thema Rassismus sehr schwer getan ...

Natürlich war es auch für die schwierig. Schließlich brachten Frauen aus anderen Kulturen einen ganz anderen Hintergrund mit: Mit Feminismus und einer westlichen Autonomievorstellung wollten viele überhaupt nichts zu tun haben. Viele Migrantinnen gehen schlicht deswegen ins Frauenhaus, weil sie im Gegensatz zu Deutschen niemand anderen haben. Gerade dadurch wurde der missionarische Eifer der Deutschen aber oft erst richtig geweckt. Manchmal ging das so weit, dass die Mitarbeiterinnen meinten, die Migrantinnen sollten doch jetzt bitte am Vorbild der weißen Feministin „wachsen“.

Grundsätzlich gilt, dass viele wesentliche Konzepte komplett überdacht werden mussten: Für viele Migrantinnen hat es zum Beispiel eine ganz andere Bedeutung, mit ihrer Familie zu brechen. Außerdem sah man sich damit konfrontiert, dass es – beispielsweise aus aufenthaltsrechtlichen Gründen – notwendig war, einen Kontakt zu dem gewalttätigen Mann zu halten, schlicht um der Frau eine Perspektive zu ermöglichen. Für viele in der deutschen Frauenbewegung sozialisierte Frauen war das eine undenkbare Vorstellung. Auch der so genannte Opferfeminismus, der von einem statischen „Täter-Opfer-Dualismus“ ausgeht, kam angesichts der Tatsache, dass Migrantinnen oft ganz andere Probleme hatten, als eine unterdrückte Frau zu sein, sehr ins Wanken.

In Berlin existiert das erste Interkulturelle Frauenhaus. Was unterscheidet es von den anderen?

Erstens achten wir darauf, dass die Mitarbeiterinnen interkulturelle Kompetenzen mitbringen. Aber auch die Probleme, mit denen wir zu tun haben, sind oft andere: Trotz der Reform des Ausländerrechts unter Rot-Grün haben ausländische Frauen immer noch drei Jahre lang kein eigenständiges Aufenthaltsrecht. In dieser Lage ist es nahezu unmöglich, einen gewalttätigen Mann zu verlassen. Auch insgesamt spielen bürokratische Hürden oft eine größere Rolle als die Verarbeitung des Erlebten.

Nadja Lehmann (37) promoviert über die Situation von Migrantinnen in Frauenhäusern. In diesem Jahr hat sie das erste interkulturelle Frauenhaus Deutschlands mitgegründet.

INTERVIEW: JEANNETTE GODDAR