Wunderkerzen mit Nazi-Appeal

„Super“, „toll“, „besonders“: So finden sich die Jahre der Nazidiktatur auf lustigen Wunderkerzenpackungen, die zu Geburtstagen verschenkt werden sollen. Karstadt nimmt das missratene Produkt schleunigst aus dem Handel

HAMBURG taz ■ „1943: Ein Super Jahr! 18. 2.: Beim Verteilen der ‚Weißen Rose‘-Flugblätter werden die Geschwister Scholl verhaftet und zum Tode verurteilt.“ Dieses Zitat stammt nicht von einem rechtsradikalen Flugblatt. Sondern von einer bunten Packung Geburtstagswunderkerzen. Zu erwerben bei Karstadt in der Schreibwarenabteilung. Gibt’s auch für die Jahre 1933 („ein vielfältiges Jahr!“), 1937 (auch „ein Super-Jahr!“) und 1945 („ein buntes Jahr!“).

Die Wunderkerzenpalette reicht von 1921 bis 1983. Neben einem lachenden Comic-Pärchen sind auf den Packungen Ereignisse des jeweiligen Jahres aufgelistet. Dabei werden die Daten zum Nationalsozialismus entweder gar nicht erwähnt (erstes Datum für 1933: „24. 6.: Die Lufthansa überquert in 33,5 Stunden den Atlantik“) oder mit bunten Meldungen gemischt: „1938: Ein besonderes Jahr! Ab dem 1. 1. gilt das Rechtsfahrgebot für Autos. 9. 1.: Hitler löst den Juden-Progrom aus.“ Gemeint ist das Pogrom am 9. 11. Auf der Packung für 1939 („ein bewegtes Jahr!“) ist zur Einführung des Mutterkreuzes eine Comic-Frau mit Kinderlein abgebildet.

Seit drei Monaten vertreibt die Firma „Art in Heaven“ in Bochum die Wunderkerzen, vor allem an Karstadt. Der dortige Leiter des Verkaufs, Carsten Gräser, kann die Bedenken verstehen: „Wir hatten auf keinen Fall vor, diese Zeit zu verharmlosen.“ Das Design habe man komplett mit Jahrestitel und geschichtlichen Daten vom Bochumer Perleberg-Verlag eingekauft, der es zuvor bereits „sehr erfolgreich“ auf Glückwunschkarten vertrieben hat. Natürlich sei es für die Jahre 1933 bis 1945 „schwierig“, die richtigen Titel und Daten zu finden. Gräser will nun eine firmeninterne Diskussion anregen.

Beim Perleberg-Verlag zeigt man sich einsichtig. „Die Texte sind nicht in Ordnung“, sagt Geschäftsführer Michael Frankenhäuser. Eine Werbeagentur habe sie zusammengestellt. Der Verlag will nun die Beschriftungen überprüfen und gegebenenfalls ändern. „Notfalls holen wir das Produkt auch aus dem Handel zurück.“ Das wird nicht mehr nötig sein: Karstadt hat nach der Anfrage der taz gestern sofort alle Filialen angewiesen, die Jahrgänge 1933 bis 1950 aus den Regalen zu nehmen. Auch die übrigen Jahre werden inhaltlich überprüft. „Wir hatten von dem Hersteller ein großes Produktpaket gekauft“, erklärt Unternehmenssprecher Michael Scheibe, „die Texte auf den Packungen kannten wir nicht.“ Wie auch? Schließlich steht auf den Wunderkerzen: „Verpackung mit Unbedenklichkeitsbescheinigung“.

HEIKE DIERBACH