Operation Veröffentlichung

■ Redakteure der Zeit stehen vor Gericht, weil sie aus geheimen Unterlagen zur Leuna-Affäre und Datenvernichtung zitiert hatten

Die „Operation Löschtaste“ ist zu einem Kriminalfall geworden. Allerdings stehen nicht die Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes vor Gericht, denen Redakteure der Zeit vorgeworfen hatten, zum Schutz des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl Akten vernichtet zu haben. Vielmehr müssen sich die Journalisten seit gestern vor dem Hamburger Amtsgericht verantworten, weil sie in jenem Artikel am 20. Juli 2000 aus Ermittlungsakten zitiert hatten, die noch nicht über ein Gerichtsverfahren der Öffentlichkeit preisgegeben worden waren. „Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen“ lautet der Vorwurf in dem Strafverfahren, das am 9. November fortgesetzt wird.

Die beschuldigten Redakteure sagen zur Sache nichts. Was sie zu dem Fall zu sagen haben, hatten sie in jenen Artikel geschrieben: Dass kurz nach dem Regierungswechsel im Kanzleramt von höchster Stelle „Bundeslöschtage“ angeordnet worden seien, „damit auf ewig ungewiss bleibe, ob Entscheidungen der Bundesregierung käuflich waren“.

Belegt hat die Zeit ihre Behauptung mit Zitaten aus Vernehmungsprotokollen von Burkhard Hirsch, dem Sonderermittler der Bundesregierung zur Aufklärung des Aktenskandals im Kanzleramt. Der hatte die MitarbeiterInnen des Bundeskanzleramtes im Frühjahr vorigen Jahres zu der Frage vernommen, ob Informationen über den Verkauf der ostdeutschen Leuna-Raffinerie an den französischen Konzern Elf-Aquitaine, über den Verkauf von Eisenbahnerwohnungen und Fuchs-Panzern gelöscht worden waren. Über seine Vernehmungen fertigte Hirsch Protokolle an. Und auf die haben die Redakteure ihren Artikel gestützt – obwohl das Strafgesetzbuch das Zitieren aus unveröffentlichten Ermittlungsakten unter Strafe stellt.

Verteidiger Johann Schwenn aber ist der Meinung, dass „das Grundrecht auf Pressefreiheit tot ist, wenn die Medien an solcher Berichterstattung durch das Strafrecht behindert werden“. Die Beschuldigten hätten nicht rechtswidrig gehandelt. Denn sollte sich der Verdacht bestätigen, dass das Löschen der inkriminierten Daten von der damaligen Bundesregierung gebilligt oder sogar angeordnet worden war, würde „das öffentliche Interesse daran das Persönlichkeitsinteresse der Beteiligten überwiegen“.

Dass der Verdacht sich bestätigen würde, schien bis vor kurzem allerdings unmöglich zu sein. Die Staatsanwaltschaft Bonn hatte ihre Ermittlungen zu dem Fall bereits eingestellt – und erst auf die Beschwerde von 11.200 Bürgern hin wieder aufgenommen.

Elke Spanner