„Unglaublichkeit“

Angelika Königseder, Historikerin am Zentrum für Antisemitismusforschung, über Ergebnisse ihrer Studie

taz: Frau Königseder, Sie haben das Verhalten Berliner Anwälte während des Nationalsozialimus erforscht. Was sind für Sie die wichtigsten Ergebnisse?

Angelika Königseder: Auffällig ist das Ignorieren oder gar positive Hinnehmen der Verdrängung der jüdischen Anwälte. Einem Großteil der nichtjüdischen Anwälte, die teils an der Armutsgrenze lebten, war es sehr willkommen, dass ein Teil der jüdischen Kollegen verdrängt wurde.

Wie stark haben nichtjüdische Kanzleien profitiert?

Mit Sicherheit sehr stark. Immerhin ist die Hälfte der Berliner Anwälte verdrängt worden.

Gibt es Fälle, die Sie besonders erschütternd fanden?

Eine Menge. Zum Beispiel Julius Magnus, der über 20 Jahre lang die „Juristische Wochenschrift“ betreute. Wohl einer der angesehensten Juristen Europas zu dem Zeitpunkt. Er wurde vertrieben, ist nach Holland emigriert und von dort nach Theresienstadt deportiert worden, wo er im Alter von 76 Jahren verhungert ist.

Und auf der Täterseite?

Dort stolpert man eher über die Unglaublichkeit, wie Menschen auf einmal mit ehemaligen Kollegen oder Vorgesetzten umgingen. Etwa Kurt Peschke, der seinem sehr bekannten Sozietätspartner Max Alsberg erklärte, Antisemit sei er ja nicht, aber die Zeiten hätten sich nun mal geändert und deswegen müsse er die Kanzlei verlassen.

Warum wird das erst jetzt beleuchtet?

Die Juristen haben insgesamt sehr lange gebraucht, ihre Standesgeschichte aufzuarbeiten. Nach den Berufsverboten 1945 für NSDAP-Mitglieder haben Ende der vierziger Jahre fast alle Anwälte ihre Zulassung zurückbekommen. Erst etwa Mitte der 80er-Jahre begannen sich die Juristen für ihre Vergangenheit zu interessieren. Da hat ein ein Bewusstseinswandel eingesetzt.

Es gibt immer noch Kanzleien, die zumindest Wurzeln im Dritten Reich haben. Beschäftigen die sich heute mit ihrer Vergangenheit?

Ich glaube nicht. Das wird möglicherweise auch erst in der Reaktion auf die Studie klar werden. INTERVIEW: MICHAEL DRAEKE