olympiafieber
: Kandidat für die Spiele 2012 ist: Berlin

Noch fehlt der Strom

Am 3. November wird das Nationale Olympische Komitee für Deutschland (NOK) bekannt geben, ob es sich um die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2012 bewerben wird. Wie die Entscheidung ausgeht, scheint bereits abgemachte Sache, spannend ist allein noch die Frage: Welcher deutschen Stadt traut das NOK zu, gegen Metropolen wie Rom, New York oder Paris bestehen zu können? Die taz nimmt die Kandidaten unter die Lupe. Heute: Berlin.

Berlin praktiziert derzeit eine für seine schon berühmte Großkotzigkeit ungewohnte Übung: Statt wie immer im Superlativ drauflos zu klotzen und mit vorlauter „Schnauze“ dick aufzutragen, trainiert sich die Stadt in Bescheidenheit. „Zurückhaltung als olympische Disziplin“ bezeichnete der Berliner Tagesspiegel den mentalen Paradigmenwechsel in Anspielung auf die Bewerbung für die Spiele 2012. Kleinlaut druckst man mit dem Thema herum. Die sportlich interessierte Öffentlichkeit sorgt sich eher um die Frage, wer folgt Sebastian Deisler bei Hertha BSC nach, nachdem der seinen Abgang zu den Bayern perfekt gemacht hat. Und die Einrichtung einer Olympia GmbH, erstes ernsthaftes Signal für eine Olympiabewerbung, will der Senat bis nach den Koalitionsverhandlungen im November verschieben. Was ist mit Berlin los? Keine gelben Olympiabärchen, keine hochfliegenden Pläne, keine Millionen, kein „und das ist gut so“?

Die Olympiabewerbung hat in der Hauptstadt noch keinen, oder sollte man sagen: erst ein wenig?, Strom. Immerhin ist man heute in Berlin bereit, sich von der Richtlinie – „erst 2016, um der Stadt eine längere Vorbereitungszeit zu ermöglichen“, wie der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) noch vor einem Monat sagte – zu verabschieden. Der Fraktionssprecher der Berliner SPD spricht seither vorsichtig von „Sympathien bei führenden Sozialdemokraten für das Projekt“. Gäbe es nicht Klaus Böger, den SPD-Sportsenator, die Landesregierung hätte sich wohl kaum zu der Feststellung durchgerungen, „die Voraussetzungen zu prüfen, die für eine Bewerbung 2012 nötig sind“.

Böger hat sich als klarer Fürsprecher für die Spiele geoutet: Berlin müsse sich „auf jeden Fall bewerben“, auch, um im Falle eines Scheiterns 2012 dann 2016 mit der Mehrfachbewerbung im Rücken eine noch bessere Ausgangslage zu erzielen. Zugleich sieht der Sportsenator schon in einem jetzigen Antrag die Perspektive, die Stadt wirtschaftlich voranbringen zu können. Zum Nulltarif! Trotz der finanziellen Schwierigkeiten des mit 78 Milliarden Mark überschuldeten Haushalts würden die Spiele kein zusätzliches Milliardenloch in die Kassen reißen, seien doch wesentliche Sportanlage bereits vorhanden. Olympia, powert Böger, sei der Motor der Stadtentwicklung, diene der Imageförderung und dem „Aufschwung“ der östlichen Region insgesamt. Die Karte dazu hat der Senator bereits ins Spiel gebracht in Form einer „Ostolympiade“ von Rostock über Frankfurt (Oder) bis nach Leipzig.

Zu Recht weist der Senator auf bestehende Sportanlagen hin, die selbst 2012 noch olympiatauglich wären: Derzeit wird das marode Berliner Olympiastadion für rund 450 Millionen Mark zum WM-2006-Stadion mit 78.000 Plätzen umgebaut. Gleichzeitig wird das für die WM geplante zentrale Medienzentrum an der Messe Berlin auch 2012 nicht neu errichtet werden müssen.

Als Pluspunkt könnte sich auch herausstellen, dass die wesentlichen Planungen der gescheiterten Bewerbung „Olympia 2000“ seit dem Ende der 90er-Jahre fertig gestellt sind. Die 1,2 Milliarden Mark teuren Investitionen für das Velodrom (9.000 Plätze), die neue Schwimm- und Sprunghalle sowie die „Max Schmeling“-Basketball- und Boxhalle (6.000 Plätze) sind olympiatauglich. Hinzu kommt, dass die neuen Messehallen für Sportveranstaltungen ebenso ausgelegt sind wie der geplante und privat finanzierte Superdome.

Mit großen Neubauplänen und ebensolchen Sprüchen hält sich die Landesregieung auch darum zurück, hängt doch noch immer das Trauma der kläglich gescheiterten Bewerbung von 1993 über der Stadt. Mit einem dilettantischen Konzept, Sex-Skandalen und versuchter Korruption bei IOC-Vertretern, zwei unfähigen und verschlissenen Olympia-Geschäftsführern, rund 65 Millionen Mark Mehrkosten sowie einer peinlich vorgetragenen Bewerbung in Monaco hatten Olympia GmbH und Senat damals jeden Kredit bei der sowieso überwiegend ablehnend eingestellten Berliner Bevölkerung verspielt. Auch heute sind die kritischen Argumente von 1993 nicht obsolet. Die Stadt ist pleite und der Bund ringt sich nur mühsam zu finanzieller Mehrverantwortung durch. Die Schuldensituation lasse eine Bewerbung „nicht zu“, sagt beispielsweise Sibyll Klotz, grüne Fraktions-Chefin: „Wir brauchen keinen erneuten olympischen Größenwahn.“ ROLF LAUTENSCHLÄGER