SCHÄUBLE-KANDIDATUR: DIE UNION LEIDET IMMER NOCH AN HELMUT KOHL
: Rolle rückwärts

Politik und Klatsch sind untrennbar miteinander verbunden, und der vergnüglichste politische Klatsch ist allemal eine Kandidatendiskussion. Alle können mitreden. Dieser Versuchung widersteht kaum jemand, und wer über Personalien spricht, darf darauf verlässlich bauen – will also, dass auch andere darüber sprechen. Ganz gewiss gilt das für einen so alten Fahrensmann wie den CSU-Landesgruppenchef Michael Glos. Er kennt das Geschäft, wusste also, was er tat, als er den Hut von Wolfgang Schäuble in den Ring warf. Angeblich, ohne den Hutbesitzer gefragt zu haben, angeblich auch ohne Rücksprache mit seinem Parteichef Edmund Stoiber. Natürlich. Die Erde ist eine Scheibe. Was soll’s? Solange sich das Gegenteil nicht beweisen lässt, so lange kann es allen Beteiligten herzlich egal sein, ob ihnen die Öffentlichkeit das in den Zeiten des Mobiltelefons abnimmt.

Mit der Diskussion über einen möglichen Kanzlerkandidaten Wolfgang Schäuble lassen sich gleich drei aus Sicht der CSU wünschenswerte Ziele erreichen: Die Autorität der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel wird ein weiteres Mal in Frage gestellt. Stoiber – der noch immer nicht so recht zu wissen scheint, ob er nun springen soll oder nicht – bekommt Luft zum Atmen. Und die politische Rehabilitierung des klügsten Kopfes der CDU wird zeitgleich mit der Einstellung des Justizverfahrens gegen ihn weiter vorangetrieben. Auch daran muss der CSU gelegen sein. Eine allzu schwache Schwesterpartei kann sie nicht brauchen.

Es geht bei den nächsten Bundestagswahlen ja nicht nur um den Sieg, sondern zunächst einfach um ein möglichst gutes Ergebnis. Viele Unionsabgeordnete bangen derzeit um ihre Listenplätze. Wer bietet die besten Aussichten auf Weiterbeschäftigung: Merkel, Stoiber oder Schäuble? Ganz recht. Und weil das so ist, ist die derzeitige Personaldiskussion eben auch nicht einfach nur ein süffiges Klatschthema. Sondern möglicherweise der Anlauf zu einer Rolle rückwärts. Dass eine Rolle vorwärts wenig erfolgversprechend wäre, liegt an Helmut Kohl. Er ist für die personelle Wüstenlandschaft in der Union verantwortlich. 16 Jahre lang hat er – auch – an seiner eigenen Unersetzlichkeit gearbeitet. Mit Erfolg. BETTINA GAUS