Marke für Kapitalismuskritik

Globalisierungskritik I: „Attac“ bietet kein kohärentes Gegenmodell. Dieser Vorwurf stimmt. Aber die Ambivalenz ist ein Vorteil: Sie erlaubt die richtigen Fragen

„Attac“ steht für eine Befreiung von der Visionslosigkeit der 90er-Jahre, die ein Identitätsverbot war

Wie schafft man es, eine neue politische Bewegung ins Leben zu rufen, die „sexy“ wirkt und tausende von jüngeren Leuten anzieht? Über diese Frage zerbrechen sich Gewerkschaften und Parteien schon lange den Kopf und finden trotz der Bemühungen etlicher Werbeagenturen keine Lösung. Dem globalisierungskritischen Netzwerk „Attac“ aber scheint es zu gelingen. „Politik muss sexy sein und irgendwie wollen wir doch alle gut aussehen“, sagte ein Podiumsteilnehmer auf dem Attac-Kongress in Berlin. Der Name „Attac“ transportiert ein neues positives Image des politischen Engagements – und deshalb darf das Netzwerk nicht vorschnell nach alten Maßstäben, also nach konkreten Ergebnissen, beurteilt werden.

4.000 Leute kamen im Oktober zum Attac-Kongress unter dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“. Mit nur 800 Besuchern hatten die Veranstalter gerechnet. Dem Netzwerk, das zuletzt durch die Proteste in Genua bekannt wurde, gehören schon 50.000 Mitglieder aus 30 Ländern an, Tendenz steigend. Als „Mitglieder“ zählen dabei Einzelpersonen und auch Gruppen wie Gewerkschaften, Umweltverbände und Drittwelt-Initiativen. Als eine Art kleinsten gemeinsamen politischen Nenners fordert das Netzwerk eine globale Steuer auf Devisenspekulationen, die so genannte Tobin-Steuer, sowie die Entschuldung der Drittwelt-Länder. Doch diese Forderungen werden schon seit Jahren von linken Gruppierungen erhoben und sind nichts Neues. Was also macht den Erfolg von Attac aus?

Die Antwort ist einfach: Attac ist vor allem eine Projektionsfläche für ein Bedürfnis, eine Nachfrage nach alternativem Denken im Globalkapitalismus, und weniger ein Programm. Deswegen herrscht auch ein eigenartiger Widerspruch zwischen den oft naiv wirkenden Forderungen, die Attac-Leute in Zeitungsinterviews aufstellen, und dem großen Zuspruch, den beispielsweise der Kongress in Berlin erreichte.

Der Grüne Daniel Cohn-Bendit erklärte, das Netzwerk Attac sei nicht revolutionär, sondern reformerisch. Doch schon eine solche Einordnung trägt etwas von dem Vertrauenslehrer-Gestus in sich, mit dem ältere Linke oft jüngere Bewegungen beurteilen. Dabei wird immer der alte Maßstab angelegt: Was fordert ihr, wie wollt ihr es erreichen, welches Gesellschaftsmodell liegt dem zu Grunde? Diese Fragen greifen zu kurz.

Denn nach der jüngeren Geschichte der politischen Bewegungen kann es gerade kein kohärentes Gesellschaftsmodell mehr geben, das gewissermaßen dem herrschenden Kapitalismus entgegengehalten wird wie das Kruzifix dem Grafen Dracula. Jedes um Kohärenz bemühte alternative Gesellschaftsmodell würde im Gegenteil sofort genüsslich in seine Widersprüche zerfetzt und unglaubwürdig wirken. Die wichtigste Frage an Attac lautet daher nicht: Was fordert ihr? Die entscheidende Frage lautet: Was projizieren die vielen tausend Attac-Anhänger in das neue Netzwerk?

Auf der Suche nach einer Antwort fällt auf, dass Attac inzwischen offenbar funktioniert wie ein Markenname, mit einem emotionalen, vielleicht sogar spirituellen Mehrwert, den ein Markenname bietet.

Attac ist ursprünglich die Abkürzung von „Association pour une taxation des transactions financières pour l’aide aux citoyens“, also eine Art Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der internationalen Finanzmärkte. Viele Anhänger dürften sich aber um die eigentliche Bedeutung des Begriffs gar nicht scheren, sondern mit „Attac“ eben ganz grundsätzlich Attacke, Widerstand, also Energie und Lebendigkeit assoziieren. Genau diese Grundsätzlichkeit macht die Stärke des neuen Polit-Branding aus.

Deswegen kann das Netzwerk auch sehr heterogene Gruppen unter seinem Dach vereinen. Die Hauptbotschaft muss nur lauten: Es könnte alles anders sein, als es ist in der globalen Wettbewerbsgesellschaft.

Zu den Attac-Mitgliedern und -Anhängern gehören Gruppen, die sich für die Armutsbekämpfung in Afrika einsetzen, ebenso wie Initiativen, die sich damit beschäftigen, inwieweit die Flexibilisierungen der hiesigen Arbeitsbedingungen denn nun gut sind für die Menschen oder nicht, ob die Privatisierung des öffentlichen Dienstes tatsächlich der Weisheit letzter Schluss ist und wie Konsumenten durch ihr Verhalten Politik machen können. Gerade weil Attac keine ausgefeilten Gegenentwürfe bietet, sind den Leuten Ambivalenzen erlaubt.

Eine solche Diskussionsplattform gestattet sogar eine vorübergehende Doppelmoral aus persönlicher Angepasstheit und Kapitalismuskritik. Eine Doppelmoral hat ihr Gutes: Sie sorgt für die richtigen Fragen. Sollen denn nun alle ökologisch einkaufen oder ist ein solches Credo heuchlerisch, weil sich ärmere Leute Biolebensmittel nicht leisten können? Kann eine Gesellschaft der Markengläubigen (zu denen ja vor allem junge Leute gehören) überhaupt revolutionär sein? Inwieweit kann man sich gestatten, auch mal lustvoll auf Werbung hereinzufallen?

Es gibt keine klaren Handlungsanweisungen mehr für ein politisch korrektes, kapitalismuskritisches Verhalten – und die sind auch gar nicht nötig. Denn der Markenname Attac steht erst mal für eine Befreiung von der Visionslosigkeit der 80er- und 90er-Jahre, dem TINA-Prinzip („there is no alternative“), das letztlich ein Identitätsverbot war. Politik erscheint wieder als Mittel der Identitätssuche, als eine Vision von persönlicher Wahl- und Handlungsfähigkeit.

„Attac“ klingt für viele wie Widerstand, wie Energie und Lebendigkeit. Das ist gelungenes Polit-Branding

Dies betrifft übrigens nicht nur die Jüngeren – die Attac-Anhängerschaft ist vielmehr recht gemischt. Auch viele Ältere fühlen sich angesprochen, die Angst davor verspüren, herausgekegelt zu werden aus der Wettbewerbsgesellschaft. Sie wollen die herrschenden Wertesysteme hinterfragen – Gleiches gilt aber auch für die Jüngeren, denen eine vorgeschriebene Lebensplanung nicht gefällt, nach der man möglichst früh schon berufliche Erfolge zu erzielen hat und dann Angst haben muss vor einem angeblich unvermeidlichen Abstieg. Möglicherweise werden die künftigen politischen Bewegungen mehr multigenerationalen Charakter haben als in den Jahrzehnten zuvor.

Wie also sieht die Zukunft von Attac aus? Unverzichtbar für eine internationale Bewegung, die energiegeladen – also „sexy“ – wirken will, sind die Fernsehbilder. Eine gewisse Militanz hie und da bei den Treffen internationaler Wirtschaftsorganisationen ist deshalb unvermeidlich. Hinzu kommt der „kosmopolitische Veredelungseffekt“: Durch das Siegel der Mitgliedschaft erhalten deutsche Umwelt- und Friedensorganisationen und sogar die Gewerkschaft Ver.di sozusagen höhere globale Weihen.

Nicht zuletzt aber könnte Attac neue politische Orte schaffen für die Begegnung von Individualisten, die noch etwas anderes vom Leben wollen als die Vorhersehbarkeiten der Wettbewerbsgesellschaft. Das Lustprinzip scheint bei Attac mitzuregieren – und das ist die beste Voraussetzung für jede neue politische Bewegung. BARBARA DRIBBUSCH