Schröder umschifft Menschenrechte

In China umgeht Bundeskanzler Schröder das heikle Thema Menschenrechtsverletzungen mit blumigen Worten über die bundesdeutsche Demokratie. Chinas Propaganda vereinnahmt ihn derweil gegen die Minderheit der Uiguren

aus Peking JUTTA LIETSCH

Viele Wege gibt es, das Wort Demokratie zu vermeiden, wenn man seine chinesischen Gastgeber nicht vor den Kopf stoßen will: Das bewies gestern Gerhard Schröder in seiner Rede an der Peking-Universität zum Thema „China und Deutschland: Partner in einer veränderten Welt“. Vor 600 Studenten und Dozenten erklärte der Kanzler, die „Besonderheiten der deutschen Erfolgsgeschichte“ nach 1945 lägen in der „segensreichen Verbindung aus zwei Prinzipien: dem Prinzip des Rechtsstaates und dem Prinzip der Teilhabe“. Der „Erfolg der deutschen Wirtschaft und des deutschen Staatswesens beruht darauf“, so Schröder, „dass den Menschen, die den wirtschaftlichen Reichtum schaffen, ein gerechter Anteil zukommt am Haben und Sagen in der Gesellschaft.“ In Zeiten der Globalisierung bestehe nur, wer auf Sicherheit und Zusammenarbeit setze – „aber auch auf die Freiheit, auf den freien Zugang zu Informationen und den freien Fluss der Informationen“. Schröder mahnte „Dialog, freie Meinungsäußerung und Kritik“ an.

Die Rede in der „Beida“, wie die Pekinger Elite-Universität genannt wird, war Teil des dreitätigen Staatsbesuchs, der heute in Schanghai endet. Der Kanzler traf gestern Mittag Staats- und Parteichef Jiang Zemin und dinierte am Abend mit Premier Zhu Rongji in der Hafenstadt Dalian im Familienkreis. Diese Vertrautheit zwischen den Regierungschefs ist, wie beide betonten, ein Zeichen für die derzeit besonders guten Beziehungen zwischen Berlin und Peking.

Beide wurden nicht müde, den 1999 begonnenen so genannten Rechtsstaatsdialog zu loben, bei dem deutsche und chinesische Juristen über die Reform des Rechtssystems in China debattieren. Laut Schröder laufe der Dialog so gut, dass er „keine neuen Impulse“ benötige. Auch Chinas Menschenrechtsverletzungen würden dabei besprochen – deshalb sei es „nicht nötig“, wie früher Listen politischer Gefangener zu übergeben, deren Freilassung man erbitte. Er habe eine solche Liste erst gar nicht vorbereitet. Man solle sich nicht, meinte der Kanzler vor Journalisten, „immer nur auf Rituale beschränken“ und „lieber regelmäßig reden“. Schröder sagte: „Steter Tropfen höhlt den Stein.“

In seiner Rede vor den handverlesenen und brav lauschenden Studenten lobte Schröder das deutsche Grundgesetz, das die Würde des Menschen in Artikel 1 ausdrücklich schützt: „Der Staat hat die Würde des Menschen zu respektieren und dafür zu sorgen, dass sie nicht verletzt wird.“ Schwer zu sagen, ob solche indirekten Aufforderungen zu mehr Demokratie vom Publikum verstanden wurden oder es auch nur interessierte. Den 20-jährigen Studenten Qi Zhi beeindruckten am meisten Schröders Worte über Chinas Beitritt in die Welthandelsorganisation. Auch wenn das in China kurzfristig schmerzlich unter anderem für die Landwirtschaft sei, wäre dies langfristig der richtige Weg zu mehr Wohlstand. „Das war sehr klar“, lobte der Physikstudent.

Nachdem Schröder in seiner Rede wie schon am Vortag den gemeinsamen Kampf gegen den internationalen Terrorismus beschworen hatte, schienen die Standpunkte allerdings nicht so übereinzustimmen, wie die Politiker glauben machen wollten.

Das englischsprachige Parteiorgan China Daily zitierte Zhu unter dem Titel „Die beiden Führer sind sich einig, weltweit den Terrorismus in jeglicher Form zu bekämpfen“ mit dem Satz, dass „separatistisch gesonnene Ost-Turkestan-Terroristen Ziel des globalen Kriegs gegen den Terrorismus“ sein sollten. Das sei „zu krass“ ausgedrückt, hieß es in der Kanzlerdelegation. Offenbar wollten die Chinesen die Harmonie ausnutzen, um Schröder für Pekings harte Politik gegenüber der uigurischen Minderheit in Xinjiang zu vereinnahmen. US-Präsident George W. Bush immerhin hatte jüngst Peking ermahnt, den Kampf gegen den Terror nicht als Alibi für die Unterdrückung religiöser Minderheiten zu missbrauchen.

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