Jenseits von Hollywood

Als die Bilder stolpern lernten: Das Metropolis zeigt an drei Abenden eine Auswahl US-amerikanischer Avantgarde-Filme  ■ Von Urs Richter

Wer von der Avantgarde innerhalb US-amerikanischer Filmgeschichte spricht, denkt an Namen wie Maya Deren, Kenneth Anger, Stan Brakhage, Paul Morrisey, Jonas Mekas. Denkt an sie und all die anderen, die der Geschmacksherrschaft der Konvention nicht nur aus dem Weg, sondern entgegengetreten sind mittels gewöhnungsbedürftiger Ausdruckserweiterung des Mediums. So verstanden richtet sich Avantgarde gegen den unterm Studiosystem kanonisierten klassischen Hollywoodstil, ihre Geschichte beginnt 1943 mit Derens Meshes in the Afternoon – und ist eine Geschichte voller Missverständnisse.

Das zumindest behauptet Jan-Christopher Horak in seiner 1995 herausgegebenen Aufsatzsammlung Lovers of Cinema. Ihm zufolge habe bereits in den frühen 20ern – also zeitgleich zur Eroberung des neuen Mediums durch die wilden Künstler in Paris, London, Moskau und Berlin – auch jenseits des großen Teichs eine experimentierfreudige Bewegung aus Amateuren, Industriefilmern und etablierten Regisseuren eine Ausweitung der filmischen Grenzen betrieben, die den Titel avantgardistisch durchaus verdiene. Diese frühe amerikanische Avantgarde agierte im stillen Kämmerchen privater Filmclubs, in schnelllebiger Werbung oder wurde dem unersättlichen Appetit der Unterhaltungsindustrie einverleibt und blieb bis heute unsichtbar, so Horak.

Das Anschauungsmaterial zu seiner These wurde in jahrelanger Such- und Restaurationsarbeit der Anthology Film Archives und des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt zusammengetragen und geht nach viel beachtetem Start in New York jetzt unter dem Titel „Unseen Cinema. Early American Avant-Garde Film 1893-1941“ auf Welttournee. Das Metropolis beschert Hamburg eine Auswahl des umfangreichen Programms.

Sechs thematische Blöcke knüpfen den losen Zusammenhalt des heterogenen Materials. „Light Rhythms: Melodies und Montages“ präsentiert mit Arbeiten von Oskar Fischinger Urformen des Musikvideoclips. Zu Liszts „Ungarischer Rhapsodie“ und dem militärischen Rumtata des „American March“ schießen im Takt geometrische Grundfiguren über den Leinwandhimmel. Milky Way-Träume und Bodenfeuerwerk, damals so effektvoll wie heute wieder. Ein leicht länglich geratener Clip von Slavko Vorkapichs illustriert Mendelssohn-Bartholdys „Schottische“ Symphonie mit Hilfe vieler süßer Seelöwen; Strandimpressionen in a-Moll. Auch große Namen finden sich ein: Lubitsch schüttelt die Revuenummern in So this is Paris so lange durch, bis die Kamera nicht doppelt, sondern vielfach sieht, durch ein Kaleidoskop aus Damenbein und Federputz und Gockeln.

Womit das Programm in der Metropole landet: „Picturing a Metropolis: New York City Unveiled“ sammelt Blickwinkel auf die Stadt der Städte. Flahertys Twenty-Four Dollar Island (so viel haben die Holländer für Manhattan gezahlt) ist das uramerikanische Pendant zu Filmen wie Ruttmans Berlin – Symphonie einer Großstadt oder Vertovs Der Mann mit der Kamera, und beachtenswert deshalb, weil ausgerechnet diesem Pionier des Dokumentarfilms oft verschleiernde, romantisierende Tendenz vorgehalten wird. Nichts zu verschleiern hat auch Footnote to Fact von Lewis Jacobs. Seine Montage aus Werbeschildern, Werktätigen und Schweineköpfen wird unterschnitten von einem ekstatisch wippenden Frauenkopf. Als die vorerst nur auf Theaterplakaten angekündigten „Forgotten Men“ dann zunehmend ins Bild geraten, die Rezessionsverlierer, Obdachlosen und Kranken, dichtet die Frau das Fens-ter ab und dreht den Gashahn auf. Harter Stoff von 1933.

Der vielleicht aufregendste Film läuft im Programm „A Fucking Miracle! Revolutions in Technique and Form“. Lange war George Antheils Originalsoundtrack zu Ballet mécanique verschwunden. Wieder entdeckt und im vorgesehenen, unfassbaren Tempo neu arrangiert, bolzen Saiten, Sirenen und Motoren nun über die von Fernand Leger und Dudley Murphy animierten Warenhausgegenstände. Keine rein US-amerikanische, aber eine Vorhut unbedingt.

Di., 6.11.: „Light Rhythms: Melodies & Montages“; Di.,13.11., 19 Uhr: „Picturing a Metropolis: New York City Unveiled“; Di., 20.11., 19 Uhr: „A Fucking Miracle! Revolutions in Technique and Form“, alle Metropolis