„Bei uns geht alles direkt an den Muskel“

■ Radio-Bremen-Intendant Heinz Glässgen über den Sinn der kleinsten Landesrundfunkanstalt und deren Chancen

Seit genau zwei Jahren ist Heinz Glässgen Intendant von Radio Bremen. Der ehemalige NDR-Kulturchef kam mit dem klaren Bekenntnis an die Weser, kein Fusionierer zu sein. Jetzt allerdings musste der Sender seine Kulturwelle RB 2 aufgeben – zugunsten der Kooperation mit dem NDR im gemeinsamen NordwestRadio.

taz: Halten Sie eine Fusion von Radio Bremen und NDR innerhalb der kommenden zehn Jahre für denkbar?

Heinz Glässgen: Ich kann mir schon vorstellen, dass dieser Gedanke jetzt wieder diskutiert wird. Aber man muss gucken, was man da vergleicht: Das Thema Fusion ist zuerst durch das Zusammengehen von SDR und SWF aufgekommen. Das waren zwei Landesrundfunkanstalten in einem Bundesland. Da konnte man natürlich fragen: Reicht da nicht eine? Also ein ganz anderer Ansatz als in Bremen.

Der sich aber auch hier in diese Richtung verändern könnte...

Die Frage nach dem Fortbestand des Landes Bremen ist eine andere Ebene. Für Bremen wäre der Verlust von Radio Bremen nach meinem Dafürhalten sehr schmerzlich: Es ist ein ganz wesentlicher Faktor, der dieses Land als Land ausmacht.

Den Politikern, die möglicherweise aus der Sicht der SDR/SWF-Fusion Veränderungen bei Radio Bremen fordern, muss man deutlich sagen: Ihr wart die letzten 50 Jahre lang nicht in der Lage, euren Landesrundfunk als Integrationsfaktor für ein Bundesland zu sehen. – die haben doch fast 50 Jahre lang die Trennung zwischen französischer und amerikanischer Besatzungszone aufrecht erhalten.

Und hier halten Sie die zwischen Amerikanischer und Britischer aufrecht!

Aber dort war es innerhalb eines Bundeslandes. Jetzt sind sie auf die Höhe der Erkenntnis geraten, dass eine Rundfunkanstalt zur Identität eines Landes beiträgt. Die Fusion dort ist also äußerst notwendig und sinnvoll. Aber das gilt eben nicht für Bremen.

Nach der Wahl in Berlin soll die Fusion zwischen SFB und ORB noch schneller als bisher geplant über die Bühne gehen. Fühlen Sie sich dadurch unter Druck gesetzt?

Auch das legt für uns keine beschleunigten Überlegungen nahe. Die SFB/ORB-Fusion geht von den beiden Sendern aus. Sie ist zwar politisch flankiert, aber deswegen ist das für mich noch keine politisch aufgedrängte Entwicklung.

Geschieht dort denn wirklich alles freiwillig?

Es handelt sich um die Fusion zweier ungefähr gleich große Partner. Keiner von beiden muss Angst haben, dass er nach der Fusion nicht mehr vorkommt.

Der NDR ist eine Vier-Länder-Anstalt, Radio Bremen die kleinste in der ARD. Es ist ja nicht um seiner selbst willen da, sondern wegen der Identität der Menschen im Lande Bremen. Und die wäre in Gefahr, verloren zu gehen. Also: Beide Beispiele taugen nicht als Vorbild für den NDR und Radio Bremen.

Aber ohne Land bräuchte man in Bremen auch keine Landesidentität mehr.

Beim ARD Finanz-Ausgleich konnte man in der Tat den Eindruck haben, dass da Stellvertreter-Diskussionen geführt werden. Möglicherweise versucht man auch jetzt, den Identifikationsfaktor für das Land in Frage zu stellen und meint damit die Existenz des Landes an sich. Jetzt müssen also die Bremer selbst entscheiden, ob sie ein eigenes Bundesland bleiben wollen.

Für mich stellt sich die Frage einer vernünftigen Kooperation, die die Interessen und Möglichkeiten dieser Anstalten betont. Die Angst vor dem Geschlucktwerden darf dabei nicht die Szene beherrschen.

Wo verläuft denn die Grenze zwischen einer Kooperation und dem Geschlucktwerden?

Wir haben seit vielen Jahren eine hervorragende Kooperation in einem gemeinsamen dritten Fernsehprogramm – und da habe ich nicht bemerkt, dass wir geschluckt worden wären. Demnächst wird es „NDR-Fernsehen in Zusammenarbeit mit Radio Bremen“ heißen, mit noch deutlicheren Kennungen, von wem welche Sendung stammt: So wird Radio Bremen wieder sichtbarer.

Wir können auch gemeinsam Werbezeiten verkaufen oder ein Rechenzentrum betreiben. Da geht es um das Kriterium Effizienz. Selbstständig bleiben wir in der Programm-Verantwortung.

Das wäre also die Scheidelinie?

Ja. Auch beim NordwestRadio wird der NDR nicht dominieren: Das letzte Wort über das Programm liegt bei mir. Auch auf anderen Feldern wie dem Gebühreneinzug kooperieren wir übrigens.

Das ist ein gutes Stichwort: Wenn sie sich durch die Berlin-Wahl nicht unter Druck sehen, dann aber wohl durch die derzeitige Gebühren-Debatte. Da rechnen die Öffentlich-Rechtlichen doch mit erheblichen Einbußen.

Da haben wir in der Tat große Bedenken. Radio Bremen hat überhaupt keine noch so kleine Vorratsschicht mehr. Bei uns geht alles direkt an den Muskel.

Wäre es denn ein Muskelschwund bis hin zur Lähmung?

Im schlechtesten Falle müssten wir 18 Millionen Mark zusätzlich einsparen. Das ist nicht zu verkraften. Durch den Rückgang des Finanzausgleichs sind wir bereits am Rande der Existenzmöglichkeit. Weiter kann man die Schraube nicht mehr drehen.

Aber es wäre ja sehr abenteuerlich, wenn das Bremer Parlament nicht dafür sorgen würde, dass die Bremer Landesrundfunkanstalt im Minimum leben kann.

Liegt die Entscheidungsgewalt denn tatsächlich bei Herrn Scherf und der Bürgerschaft?

Ja, klar. Auf der Ministerpräsidenten-Konferenz muss ja Einvernehmlichkeit hergestellt werden. Und ich kann mir unter keinen Umständen vorstellen, dass die Bremer Politiker einer Lösung zustimmen, die mit einer Auflösung von Radio Bremen gleich zu setzen wäre.

Das Land kommt ja durch gesellschaftliche Kommunikation zustande, durch die Bildung eines Gemeinschaftsbewusstseins. Wer das nimmt, trägt dazu bei, dass sich das Land auflöst.

Für die überregionale Wahrnehmung von Radio Bremen hat bisher auch das Festival für Neue Musik, die „Pro Musica Nova“ beigetragen. Wie ist da der Stand der Dinge?

Wir haben viele Sendungen, die überregional wahrgenommen werden. Das NordwestRadio ist dabei ein ganz wichtiger Beitrag. Mit ihm sind wir ja zum ersten Mal in unserer Geschichte zuständig auch für große Teile Niedersachsens. Das stärkt den Standort Bremen publizistisch. Übrigens trägt ja auch die Tatsache, dass es eine taz bremen gibt, zum Selbstwertgefühl der Menschen in diesem Land bei.

Bloß ist die Decke eben oben oder unten zu kurz. Aber ich bin gar nicht so skeptisch, dass wir es in irgendeiner Weise hinkriegen, die „Pro Musica“-Festivals, die ja doch wesentlich für Radio Bremen sind, zu retten – zusammen mit Kooperationspartnern, vielleicht der Glocke. Interview: Henning Bleyl