Lebendiger Direktimport

Wie HipHop und Literatur doch nicht so richtig zusammenpassen wollen und auch aus der Literaturwerkstatt nicht so schnell ein Jugendfreizeitzentrum wird: Der letzte Abend der Reihe „Zungenschlag – Erzähler, Rapper, Pütchipüüs“

Der Moderator steckt sich erst mal eine Fluppe an. „Hand hoch“, fordert Boris Preckwitz das Publikum in der Literaturwerkstatt auf, „wer in den letzten vier Wochen bei einer Lesung war“. Vorne gehen zögerlich zwei, drei Arme in die Höhe. Der Rest traut sich nicht. Anscheinend geht Preckwitz davon aus, dass die vielleicht 40 Besucher an diesem dritten und letzten Abend der Reihe „Zungenschlag – Erzähler, Rapper, Pütchipüüs“ sonst eher bei HipHop-Jams zu finden seien. Eher das Gegenteil ist der Fall: Abgesehen von ein paar unter Mützen versteckten Dreads dürfte kaum jemand hier jemals ein Rap-Konzert besucht haben.

„Zungenschlag“ gehört zu den beliebten Versuchen des Literaturbetriebs, die HipHop-Kultur zu vereinnahmen, zu akademisieren oder wenigstens zu verstehen. Der Versuch, einen Bogen zu schlagen zwischen den oralen Traditionen Kolumbiens, Nigerias, Südafrikas, der nordafrikanischen Berber, der US-Spoken-Word-Szene und dem Berliner HipHop. Als erster geht an diesem Abend Ike Mboneni Muila ans drahtlose Mikro. Der Südafrikaner verschmilzt die elf Sprachen, die in seiner Heimatstadt Soweto gesprochen werden, zu einem dadaistischen Hybrid.

Davon bleibt auf der Bühne, trotz der ausgegebenen Übersetzungen, vor allem Sprachmelodie und Rhythmus. Die Sprachverwirrung, das Babylonische der Texte aber geht verloren. Danach stellt Moderator Preckwitz eine „kleine These“ in den Raum und will eine „kleine Diskussion“ anregen. Das Publikum möchte nicht. Bei Sharif Simmons dagegen geht man mit. Das liegt nicht nur am weitaus verständlicheren Englisch des in Atlanta lebenden New Yorkers, sondern vor allem an dessen Entertainment-Talent, denn Simmons hat sich schon in jungen Jahren durch die einschlägigen Book Stores von Greenwich Village gelesen. Mit Gitarre oder einem Fingerschnippen unterstreicht er die Musikalität seiner Poesie und vergisst auch nicht zu sagen, dass „dieses Stück auf meiner CD erschienen ist, die am Büchertisch erhältlich ist“.

Ganz Rockstar will er die Zuschauer als Backgroundchor rekrutieren, was eher misslingt, und er beendet seine Performance mit einem herzlichen „Thank you, Berlin“. 40 Berliner klatschen zufrieden. Schließlich: Gauner, der wohl bekannteste Freestyle-Rapper aus Berlin, in den frühen Neunzigern Mitglied der SWAT-Posse, seitdem immer an der Schnittstelle zwischen HipHop und etabliertem Kultur- und Sozialbetrieb. Hier nun verlässt die Veranstaltung endgültig eingetretene Pfade: Das Publikum sichtlich irritierend, rappt Gauner aus dem Stehgreif über nichts und alles, verkleidet den Mikroständer als Diss-Opfer, lässt sich Themen zurufen und hält noch eine kleine Vorlesung zu Sinn und Zweck des Freestylens. So viel Direktimport aus dem Leben ist man hier nicht gewohnt, aber auch seine Animations-Versuche laufen ins Leere. Aus der Literaturwerkstatt wird eben nie ein Jugendzentrum.

Der bis dahin für eine Lesung ungemein unterhaltsame Abend wird beschlossen von dem Versuch des Moderators, das Gehörte angemessen zu akademisieren. „Ich muss zugeben“, gibt Preckwitz zu, „ich habe ja auch Germanistik studiert. Also eine germanistische Frage. Nach der Textsorte.“ Die aber stellt sich für die Autoren wohl nicht. HipHop ist eben keine Blutauffrischung für den Literaturbetrieb, sondern eine „etablierte Kunstform“ (Simmons), die lange schon die Erzählweisen wieder zurück beeinflusst, aus denen sie dereinst erwachsen ist. Die ebenso frei fließenden wie weitgehend sinnentleerten Reime von Gauner haben mit der hochpolitischen Poesie von Simmons und den Wort- und Dialektspielereien von Muila nur mehr das Wissen um HipHop gemeinsam.

THOMAS WINKLER