Ein veritables Ideendrama um die Frage der Aufklärung

Das Einstein-Forum Potsdam, der Eichborn Verlag und seine Autoren und Herausgeber feierten „Die Welt der Enzyklopädie“ im Schlosstheater des Neuen Palais in Potsdam

Der geistvolle, kämpferische und doch selbstironische Mut der Autoren

Man kann vermuten, dass es die Enzyklopädisten um Diderot und d'Alembert mit Genugtuung erfüllt hätte, ausgerechnet im Schlosstheater des Neuen Palais in Potsdam gefeiert zu werden; auf der Privatbühne jenes aufgeklärten Monarchen, dem sie in der Enzyklopädie Lobeshymnen sangen. Während nämlich Diderot sich in Paris mit den letzten Text- und Kupferstichbänden des Riesenwerks herumschlug, ließ Friedrich der Große jene Gold-und-Plüsch-Orgie erbauen, in die nun das Einstein-Forum Potsdam zusammen mit der Französischen Botschaft und dem Eichborn Verlag geladen hatte, um im stilechten Ambiente „Die Welt der Enzyklopädie“ zu feiern. Es fehlte nur noch die Flöte des Alten Fritz.

Der Anlass des Ganzen, „Die Welt der Enzyklopädie“, ein Prachtband der bei Eichborn erscheinenden „Anderen Bibliothek“ in Großformat und Leinen, macht anlässlich des 250. Jubiläums der Enzyklopädie eine repräsentative Auswahl ihrer Artikel erstmalig auf Deutsch zugänglich. Doch darin soll nicht bloß der guten alten Zeiten gedacht werden, es geht um den vollmundig vorgetragenen Anspruch, Orientierungswissen für das 21. Jahrhundert zu aktualisieren. Deswegen wurden auch zahlreiche Originalartikel der französischen Aufklärer von prominenten zeitgenössischen AutorInnen kommentiert und in die Zukunft weitergedacht. Drei von ihnen traten denn auch, nebst anderen Festrednern, in wechselnden Besetzungen auf der königlichen Bühne auf und wieder ab, es hatte viel von einem Theater.

Das Stück, obwohl Ideendrama, hätte durchaus fesseln können, schließlich reißt einem das Thema alle Augenbrauen hoch: Aufklärung? Hat man uns vor deren finsterer Dialektik nicht immer gewarnt, vor ihrem gnadenlosen Regime über jene, die weniger weißhäutig, abendländisch und männlich waren als ihre Vorkämpfer oder Vernunft einfach nicht annehmen wollten? Sind nicht die, welche die Aufklärung einst mit viel Geschrei unter die Erde prügelten, längst friedlich ins Grab gesunken, so passé ist das alles?

Kann man die Aufklärung so einfach feiern, und das – jetzt kommt das Unvermeidliche – nach dem 11. September? Auf dem Programm stand also die Beantwortung der Frage: Was soll Aufklärung? Eine Antwort gab das Stück des Abends allerdings nicht her, obwohl Susan Neiman, Direktorin des Einstein-Forums, sich alle Mühe gab. Die anwesenden Neu-Enzyklopädisten Hans Magnus Enzensberger, Jan Assmann und Lars Gustafsson verweigerten mehr oder weniger kollektiv die Aussage.

Stattdessen stellte Assmann kurzweilig seinen Essay zum Eintrag „Geschichte“ vor, Gustafsson charmierte das Publikum mit den selbstironischen Anekdoten des älteren Herrn, und Enzensberger schien mit der ganzen Sache gleich gar nichts mehr zu tun haben zu wollen.

So musste man sich an die Texte der Enzyklopädie selbst halten, denen der Schauspieler Frank Arnold eine wundervolle, gleichzeitig liebevolle sowie durchaus ironische Stimme verlieh, und an die Kommentare der Herausgeber der „Welt der Enzyklopädie“, Anette Selg und Rainer Wieland. Dabei zeigte sich, was die französische Philosophin Catherine Colliot-Thélène bereits bei einem der nachmittäglichen Panels im Einstein-Forum vorgebracht hatte: Nicht die Lehren der Enzyklopädie sind „geistiges Handgepäck für das dritte Jahrtausend“, wie der Verlag annonciert. Von ihrer historischen Ferne zeugen die zahllosen kuriosen Irrtümer und Unwissenheiten, aber auch die höchst unaufgeklärten abergläubischen Hässlichkeiten, die sich in der Enzyklopädie finden.

Im Gepäck haben sollte man vielmehr die politische Haltung, die aus ihren Texten spricht: den geistvollen, kämpferischen und doch selbstironischen Mut der Autoren, die mit den 28 Bänden ein Fanal gegen Unwissenheit und Despotismus setzten. Laut Kant ist der Mensch selbst an seiner Unmündigkeit schuld. Aufklärung ist darum, wie Michel Foucault in seiner Kant-Lektüre plädierte, kein Ensemble von Doktrinen, sondern eine ethische Haltung, die Trägheit und Feigheit überwindet, das Selberdenken wagt – auch gegen den zum Dogma gewordenen Traditionsbestand der Aufklärung selbst. Diese Haltung wird gebraucht – muss man sagen: gerade nach dem 11. September? –, denn die Welt, so Jan Assmann, ist heute eindeutig nicht weniger veränderungsbedürftig als vor 250 Jahren. DAVID LAUER

„Die Welt der Enzyklopädie“, hrsg. von Denis Diderot; übersetzt von Anette Selg und Rainer Wieland, Die Andere Bibliothek, Eichborn, Frankfurt am Main 2001, 128 DM