Wundertüte statt Sparpaket

Überraschendes Rettungskonzept für das vor der Zahlungsunfähigkeit stehende Argentinien: Präsident de la Rúa will nicht weiter sparen, sondern präsentiert ein Konjunkturprogramm. Finanziert werden soll es mit einem Schuldentausch

von TONI KEPPELER

Endlich ist die Spannung weg. Vierzehn Tage lang hatte der argentinische Präsident immer wieder ein Sparpaket angekündigt und es dann doch verschoben. Am Donnerstag trat Ferdinand de la Rúa nun vor die Kameras und präsentierte – einen Taschenspielertrick: Die Rentenbeiträge sollen von derzeit 11 auf 5 Prozent gesenkt werden. Idee: Die Argentinier haben mehr in der Tasche, konsumieren mehr, kurbeln die Produktion an, die Steuereinnahmen fließen, die Staatsschulden werden bezahlt, die Krise ist vorbei. So einfach können Theorien sein.

Warum musste Argentinien dann 40 Monate lang durch eine Rezession gehen, an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geraten und die Arbeitslosigkeit auf 20 Prozent steigen? Weil mit de la Rúas Trick kein Problem gelöst ist. Das argentinische Rentensystem ist weit gehend privatisiert. Zahlt ein Arbeitnehmer jetzt weniger ein, kriegt er später weniger heraus. Folgt er dem Konsumaufruf, wird er langfristig genauso ärmer wie Argentinien als Ganzes. Denn die Sparquote sinkt erheblich. Viele Arbeitnehmer werden deshalb das gesparte Geld für später horten. Kein Konsum also, keine Produktion keine Steuermehreinnahmen. Die Schulden müssen trotzdem bezahlt werden.

Doch de la Rúa kündigte noch mehr an: Familien mit einem Monatseinkommen von weniger als 1.000 Dollar sollen pro Kind unter 14 Jahren 30 Dollar zusätzlich bekommen, die rund 500.000 Alten ohne Rente 100 Dollar. Wer mit einer Scheckkarte einkauft, bezahlt künftig 3 Prozentpunkte weniger Mehrwertsteuer, mit einer Kreditkarte sind es gar 5, Unternehmen müssen auf Sozialabgaben gar keine mehr zahlen. Und die Provinzregierungen bekommen 1,3 Milliarden Dollar, um die Gehälter bezahlen zu können.

Die Argentinier müssen sich die Augen gerieben haben. Bislang waren sie von de la Rúa nur Sparaufrufe gewohnt. Und bis zur Fernsehansprache sah es eher danach aus, als müsse der Staatsbankrott erklärt werden. Diese Angst dürfte kaum verschwunden sein.: Über die Finanzierung ließ sich de la Rúa nur vage aus. Er sprach von einer Umstrukturierung des 132-Milliarden-Dollar-Schuldenbergs. Kurzfristige hochverzinsliche Titel sollen gegen langfristige Verpflichtungen mit niedrigen Zinsen getauscht werden. Die durchschnittliche Zinslast werde so von 11 Prozent auf 7 Prozent sinken. Damit könne man 4 Milliarden allein 2002 Dollar sparen.

Argentinische Medien spekulieren, dass sich der Schuldentausch auf eine Summe zwischen 16 und 92 Milliarden Dollar beziehen könnte – eine enorme Bandbreite. Man weiß, dass de la Rúa und sein Finanzminister Domingo Cavallo tagelang mit Banken und Pensionsfonds gefeilscht haben. Cavallo war in der vergangenen Woche in die USA geflogen, um dortigen Gläubigern und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) in die Seele zu knien. Doch es ist klar, dass der IWF kein weiteres Geld für Argentinien lockermachen will. Die akute Schuldenkrise, so IWF-Sprecher Tony Dawson, „ist in erster Linie ein Problem zwischen der argentinischen Regierung und ihren Gläubigern“.

Wirtschaftswissenschaftler sind deshalb überzeugt, dass die Freude über das Geschenkpaket nur kurz sein wird. Aldo Abram, Ökonom bei der Beratungsfirma Exante, sagte schon vor Donnerstag: Egal, was de la Rua ankündige, „der positive Effekt wird nur drei oder vier Tage halten“. Die grundsätzlichen Zweifel, ob er die Wirtschaft wieder auf die Beine bringen kann, könne de la Rúa nicht wegwischen.

Die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit besteht also weiter. Tritt sie ein, gerät ganz Lateinamerika in den Strudel. Internationale Anleger suchen lieber andere Gegenden für ihr Kapital. Ein Analyst von BCP Securities schrieb in dieser Woche in einer Lateinamerikaanalyse: „Die Region wird immer unheimlicher.“

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