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: Krieg in Afghanistan: Neue Taktik der USA

Wer nach dem Schwenk in der US-Taktik gegen Afghanistan noch einmal den Satz in den Mund nimmt, dieser Krieg richte sich nicht gegen die Zivilbevölkerung, dem gehören die Leviten gelesen. Von 1.500 zivilen Toten bislang sprechen die Taliban. Die wahre Opferzahl liegt – Hunger, Vertreibung und Flucht eingerechnet – um ein Vielfaches höher. Und sie wird weiter steigen.

Dass die Taliban immer mehr militärisches Gerät in Wohnviertel verlegen und ihre eigene Bevölkerung als menschlichen Schutzschild einsetzen, kann niemanden überraschen – Menschenfreundlichkeit war noch nie die Spezialität des Regimes von Mullah Mohammed Omar. So ist Krieg nun einmal, sagen manche.

Stimmt, und eben deshalb darf man konstatieren, dass die US-Kriegspropagandisten lügen, dass sich die Balken biegen.

Dabei offenbart die neue US-Taktik vor allem eine Hilflosigkeit, die keinerlei Skrupel kennt. Wenn dieser Krieg, wie es US-Politiker ein ums andere Mal erläutert haben, tatsächlich ein „neuartiger Krieg“ ist, dann dokumentiert der Einsatz einer Uraltwaffe wie dem B-52-Bomber geradezu symbolisch, dass die USA keine Ahnung haben, wie ein solcher militärischer Konflikt denn zu führen ist. Von Stabilität, Gerechtigkeit und Versöhnung – also notwendigen, wenn auch nicht hinreichenden Bedingungen für einen langfristigen Erfolg gegen den Terrorismus – ist die Welt heute weiter entfernt als am 11. September. Und mit den quasipolizeilichen Aufgaben der Terroristenverfolgung haben B-52-Flächenbombardements nichts gemein.

Es ist noch keine zwei Wochen her, da verkündete der deutsche Außenminister Joschka Fischer in Pakistan, entscheidend sei eine politische Lösung in Afghanistan selbst unter Einschluss aller Volksgruppen. Jetzt versuchen die USA, in Ermangelung anderer schlagkräftiger innerafghanischer Taliban-Gegner, der Nordallianz den Weg nach Kabul freizubomben. Falls das gelingt, wird ein neuer lang anhaltender Bürgerkrieg, in den die gesamte Region einschließlich der Atommacht Pakistan einbezogen werden könnte, billigend in Kauf genommen. Die Logik des Schlachtfeldes siegt über das Primat der Politik. Statt zur Stabilisierung einer vom Krieg geschundenen Region beizutragen, fördern die USA weitere Eskalation und gefährden die internationale Koaliton, die sie selbst geschmiedet haben. Wenn der Einsatz der Vereinigten Staaten in Afghanistan irgendwann vorbei ist, wird mehr in Schutt und Asche liegen als nur die afghanischen Städte und Dörfer.

BERND PICKERT