Wüsten der Wahrnehmung

■ Die Städtische Galerie Delmenhorst zeigt Situationen und Orte des Übergangs: „Transfer“

Nichts wie weg hier. Die Bänke sind aus kaltem Metall, der Wind pfeift über die Gleise und die schwarzen Sheriffs versichern auf einem Plakat: „Wir sind da.. Der Delmenhorster Bahnhof – kein gastlicher Ort. Lange bevor der Zug abfährt, sind die Gedanken schon woanders. Dort, wo man herkommt oder hingeht.

Wenige Schritte entfernt spürt eine junge Bremer Künstlerin der Unachtsamkeit gegenüber den Orten des alltäglichen „Transfers“ nach. Claudia Medeiros Cardoso widmet sich in der Städtischen Galerie Delmenhorst dem Ankommen, Abfahren und Unterwegs-sein. Viele der präsentierten Arbeiten sind in Bremen entstanden und so dürfte den norddeutschen Besuchern der Galerie manches Detail der Inszenierungen bekannt vorkommen. Beispielsweise in der Videoarbeit, in der sich die aus Sao Paulo stammende Künstlerin mit einer Kamera auf dem Rücken auf den Weg gemacht hat. Das Schlangestehen vor dem Fahrkartenautomaten im Bremer Bahnhof, das Lösen der Tickets – für viele eine alltägliche Situation. Doch aus der Perspektive des Kamera-Auges wirken diese banalen Handlungen befremdlich. Plötzlich fällt dem Betrachter auf, dass bei dem Gang durch die Wandelhalle kein Blickwechsel mit anderen Passanten zustande kommt. Claudia Medeiros Cardoso wunderte sich bereits bei der Entstehung des Videos, dass sie sogar trotz ihrer abenteuerlichen Kamera-Konstruktion auf dem Rücken nicht wahrgenommen wurde: „Man fühlt sich wie ein Weihnachtsbaum, wird aber nicht gesehen.“

Der Unachtsamkeit beim Unterwegssein entspricht die Vernachlässigung der Orte, die irgendwo zwischen Ausgangspunkt und Ziel liegen, in den Wüsten der Wahrnehmung. An der unwirtlichen Fläche zwischen den Hochstraßen, Gleisen und Lichttürmen in der Nähe der Eisenbahnbrücke über die Weser dürfte fast jeder Bremer schon einmal vorbeigekommen sein. Hat er etwas gesehen? Cardoso hat diesen Ort eine Stunde lang gefilmt, fünf Einzelbilder isoliert und in „Bewegungsbilder“ gebannt. Der Effekt dieser „Vista-Flips“, von den Wackelbildchen auf Scheckkarten bekannt, besteht darin, dass sich die Motive mit dem Winkel des Betrachters verändern: Beim ersten Blick auf das Foto ist nur eine graue Brachfläche zu sehen. Ein Schritt zur Seite - plötzlich taucht die Künstlerin in einem roten Kleid auf. Noch ein Schritt - ein blauer Lastwagen überquert die Hochstraße und Züge rollen über Gleise, die bis dahin unsichtbar waren. Der Charakter der Verkehrssteppe wird sichtbar: Bewegung.

Den Objektiven der Videokameras bleibt im öffentlichen Raum mittlerweile fast nichts mehr verborgen. Dass die Orte des Transfers immer stärker überwacht werden, will Cardoso mit einer Installation aufzeigen, in der Flugzeuge auf die Betrachter zurasen: Man fühlt sich wie einst Cary Grant, der in dem Hitchcock-Klassiker „Der unsichtbare Dritte“ über die Felder gejagt wurde. Doch auch wenn der Filmtitel entsprechende Assoziationen weckt: Das Gefühl, in einer offenen Landschaft hilflos einer Bedrohung ausgeliefert zu sein, hat nur bedingt etwas mit der Angst vor einem Orwellschen Überwachungsszenario zu tun.

Ansonsten erweist sich Cardoso als eine aufmerksame Beobachterin der Situationen des Übergangs, die sie gekonnt visualisiert. Und sie hat sich einen wirklich bewegenden Clou ausgedacht: Die Besucher können „Transfer“ auf einem kleinem Elektrowagen erkunden.

Peter Ringel

„Transfer“ in der Städtischen Galerie Delmenhorst vom 2.11 bis 16. 12.