Verletzte Männerehre aus Sizilien

■ Fast lebensecht zu sehen am Oldenburgischen Staatstheater mit der Doppelpremiere von „Cavalleria rusticana“ und „Der Bajazzo“.

„Musiktheater ist immer zeitgenössisch. Es ist immer jetzt“, sagte der Komponist Wolfgang Rihm. Nach einer gelungenen Spielzeiteröffnung mit György Ligetis „Le Grand Macabre“ zeigte uns nun der junge Regisseur Torsten Schröder am Oldenburgischen Staatstheater, was er darunter versteht. Mit Pietro Mascagnis „Der Bajazzo“ und Ruggiero Leoncavallos „Cavalleria Rusticana“ hat er zwei Geschichten, die in archaischen Gesellschaften beheimatet sind – es geht um die Ehre der Männer in Sizilien: In „Cavalleria Rusticana“ wird Turridu von Alfio ermordet, weil er sich dessen Frau, die er einst geliebt hat, wieder nähert. In „Der Bajazzo“ ermordet Canio, der Chef einer Wandertruppe, seine Frau und deren Liebaber während einer Aufführung, ein Geschehen übrigens, das der Komponist als Kind in Katalanien selbst erlebt hat. Archaisch sind diese Geschichten, aber nicht veraltet. Vergleichbares steht jeden zweiten Tag in unseren Zeitungen: Familientragödie in...

Und aus diesem Grund greift Schröder in die immer wirkungsvolle Realismuskiste. Die Gefahren vermeiden heißt: äußerste Präzision in jedem Gang und jeder Geste. Die Gefühle liegen in beiden Stücken derartig offen, fast platt auf dem Präsentierteller, dass es nicht viel zu interpretieren gibt. Man muss nur diese wahnsinnigen Emotionen sehr genau zeigen, und das gelingt in der Inszenierung Schröders: Es gibt nicht Täter und Opfer, alle sind Opfer ihrer Gefühle. Überzeugend auch die Aufführung in der Aufführung, der tödlich endenden Commedia dell'Arte im Bajazzo. Schröder folgt damit auch sehr genau der Musik, die in ihrer gradlinigen Heftigkeit ihresgleichen sucht: grosse Würfe von beiden Komponisten um die letzte Jahrhundertwende .

Die Einbindung in die Gesellschaft, in der ja die Begründung für Gewalttaten aus Leidenschaft und Liebe (oder besser: was man dafür hält) zu finden ist, deutet Schröder leider nur an: Trotz guter Momente – viele persönliche Differenzierungen im Chor – bleibt das Ganze zu idyllisch, die Frauen strahlen, wenn sie sticken und fegen. Und auch beim Messerkampf zwischen Turridu und Alfio umstehen die Männer des Dorfes recht regungslos die Kämpfenden. Musikalisch verlief der Abend weniger zufriedenstellend. Die erste Einstudierung des neuen ersten Kapellmeisters Eric Solén müsste noch an Feinheiten gewinnen, für den Premierenabend entschied er sich für einen Dauerdruck, der kaum je herunterkam. Die SängerInnen stellte dieses überhitzte Dauerpathos vor erhebliche Probleme.

Mathias Schulz als Turridu forcierte seine Stimme derart, dass für irgendeine Nuance kein Platz mehr blieb. Der andere Tenor, Robert Wörle als Bajazzo, ist mit dieser Partie bei einer eigentlich kleinen und leichten Stimme überfordert. Und Paul Brady sang beide Baritonpartien, was auch nicht eben günstig ist. Dies besonders auch szenisch: Denn Schröder liess beide Geschichten im selben Dorf ablaufen, dann kann aber der wild gewordene Alfio nicht derselbe Mann sein wie der lyrisch-zarte Silvio im Bajazzo. Fredrik de Jounge sang seine wichtige Rolle des Harlekin ohne Makel.

Mehr Glück hatten wir mit den Frauen: Für die Partie der Santuzza war ganz kurzfristig – nämlich am selben Tag – Monika Krause aus Frankfurt eingesprungen, ihre Leis-tung war mehr als eine Aufführungsrettung. Gut aufgehoben war die exzentrische Lola bei Alexia Basile, und dem neuen Ensemblemitglied Magdalena Schäfer gelang ihre Nedda in jeder Hinsicht vielversprechend.

Ute Schalz-Laurenze

Die nächsten Auffühungen am 10. und 17. November und am 9. und 16. Dezember