berliner szenen
: Warnung für einen Tag

Bombenalarm

Am Tag zuvor hatte mich eine dieser E-Mails erreicht, in der sich der Versender zunächst mit der Formel „Ich weiß auch nicht, ob’s stimmt“ distanzierte, um dann einen Text folgen zu lassen, in dem stand, dass die Freundin eines Freundes einen Bekannten hat, der Leute kenne, die einen Afghanen kennen, der zwar spurlos verschwunden sei, aber dennoch davor warne, an Halloween die U-Bahn zu benutzen. Ich löschte die E-Mail und war erbost über die Dreistigkeit von Leuten, die glaubten, dass die Afghanen ausgerechnet Halloween zum Tag der Rache erkoren hätten.

Ich saß also am Mittwoch in der Straßenbahn, als plötzlich die Durchsage kam, am Hackeschen Markt habe es einen „Bombenfund“ gegeben und die Streckenführung würde geändert. Ich stieg aus und ging zu Fuß zum Hackeschen Markt. Dabei wanderte ich durch einen Teil von Mitte, in dem gut angezogene Menschen ihrer sinnfreien Mediaarbeit nachgingen, schlecht angezogene Menschen bereits die erste Pilzdose geöffnet hatten und der Postbote fröhlich grüßte. Das war mir nicht geheuer und in meinem verwirrten Gehirn glaubte ich langsam, dass etwas dran sei an der Geschichte von den verschwundenen Warnern. Dann gelangte ich zum Hackeschen Markt und sah Polizisten die Wege versperren – hinter ihnen ein paar Experten, die ihrer Arbeit nachgehen. Und wurde richtig wütend. Jetzt aber, da ich diese Zeilen schreibe, weiß ich noch immer nicht: Haben Nachahmer oder Terroristen die Bombe gelegt? Hat man einen Blindgänger gefunden? Oder war es falscher Alarm? Eins weiß ich ganz gewiss: Die Idioten, die die Mythenbildung und die Verdummung mit solchen Verschwundenen-Gerüchten vorantreiben, haben einen Tritt in den Arsch verdient. JÖRG SUNDERMEIER