wladimir kaminer
: Russisch kochen

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Jede Suppe hat ihre nationale Identität. Nur was kommt bei einem Sowjet in den Topf? Kein Problem. Schließlich gibt es überzeugende Rezepte

Die Tatsache, dass nicht nur die Menschen, sondern auch jede zubereitete Suppe eine nationale Identität hat, wurde mir erst in Deutschland klar. Denn früher zur Hause in Moskau kochte meine Mutter immer international: zum Beispiel Buletten mit Pellkartoffeln dazu. Manchmal gab es anstatt Kartoffeln Reis, doch das hieß bei uns dann nicht gleich „Chinesisch essen“, sondern „Kartoffeln waren alle“.

In Berlin spielt dagegen die Herkunft des Rezepts eine sehr wichtige Rolle. Nicht nur in Restaurants, auch wenn unsere Freunde zu Hause kochen und uns einladen, sagen sie immer „wir kochen italienisch“ oder „mexikanisch“ und manchmal sogar ganz exotisch – „deutsch“.

Vor kurzem waren wir auf einer solchen Party bei einem Pärchen, das gerade die thailändische Küche ausprobieren wollte und dabei ein mir unbekanntes, aber sehr scharfes Gewürz benutzt hatte. Alle anderen Gäste am Tisch wussten wahrscheinlich Bescheid und kosteten deswegen nur sehr vorsichtig davon, so als handele es sich dabei um eine psychedelische Droge. Ich hatte dagegen nicht aufgepasst – nach kurzer Zeit brannten mein Rachen und mein Hals höllisch. Um die innere Flamme zu löschen, griff ich immer häufiger nach der Weinflasche und verzichtete auf den ebenfalls thailändischen Nachtisch, doch das nutzte wenig. Dennoch erlaubte ich mir keine kritischen Meinungsäußerungen über hier offensichtlich mißbrauchte thailändische Küche. Von den Gastgebern wurde ich trotzdem verspottet: „Typisch Russen“, zeigten sie mit dem Finger auf mich, „Sie kennen nur ihren Borschtsch mit Wodka und alles was pikanter als eine Salzgurke ist, lehnen sie ab“.

„Ihr habt doch keine Ahnung von der russischen nationalen Küche!“ widersprach ich. „Alles nur Vorurteile und Klischees!“ Meine Aussage hatte das Gleichgewicht am Tisch wieder hergestellt, doch anstatt das Thema zu beenden, fuhr ich wie verrückt weiter fort und machte meine Freunde immer weiter auf die russische Küche neugierig. „Über Inder und Thailänder mögt ihr Bescheid wissen, aber niemand von euch weiß, was wir, Russen, wirklich gerne essen,“ erzählte ich mit gehobener Stimme.

Mag sein, meinten die Gastgeber, dann zeige es uns. Für einen Rückzieher war es nun zu spät und also verabredeten wir uns in einer Woche bei mir – zum Russisch essen. Die ersten Tage danach versuchte ich, nicht an den Termin zu denken. Ich hatte nie in meinem Leben etwas anderes als Bratkartoffel und Spiegelei zubereitet und musste nun praktisch experimentieren. Der Termin rückte immer näher.

Zu Hause hatte ich die wertvolle Ausgabe der „Sowjetischen Kochkunst“ aus dem Jahr 1947 im Bücherregal stehen. Diesen prachtvollen grünen Band hatte ich bei meiner Mutter vor Jahren enteignet wegen der vielen schönen Bilder. Und meine Mutter hatte in diesem Buch zwar oftmals geblättert, aber es niemals richtig benutzt. In Moskau fehlten ihr dafür die Zutaten, später – in Berlin – die Lust. Nun wollte ich mit einem typisch russischen Gericht aus diesem Buch meine deutschen Gäste überzeugen. Mal sehen, was es mit der russischen Küche auf sich hat, ob sie tatsächlich so geheimnisvoll ist, wie ich sie vor kurzem in der Öffentlichkeit gepriesen hatte. Je länger ich in dem Buch las, um so beeindruckter wurde ich.

Die gesamte Geschichte meines gepeinigten und gequälten Landes spiegelte sich quasi in diesen Rezepten wieder. Das verarmte Rußland aus den Zeiten der Monarchie und des Bürgerkriegs, sowie die menschenverachtenden Experimente des Stalinismus wurden in „Die sowjetische Kochkunst“ zusammengerührt. Die Rezepte waren in knappen, kurzen Sätzen zusammengefasst: Sie klangen wie Kriegsbefehle – autoritär und unmissverständlich. Besonderes faszinierte mich ein Gericht mit dem Namen „Sauere Geflügelsuppe mit Eingeweide“, das von den Herausgebern des Kochbuchs – zu Recht – als unkompliziert und phantasievoll angepriesen wurde.

An dem Kochtag schlug ich die Sowjetische Kochkunst auf der nämlichen Seite auf: „Holen Sie sich einen Vogel!“ stand dort. „Hacken Sie den Schnabel ab! Entfernen sie die Augen, schneiden Sie das Herz heraus und lassen Sie sodann das Blut abfließen. Waschen Sie die Eingeweide – gründlich, aber ohne Seife. Danach zerhacken Sie alles nach Maß,lassen es eine halbe Stunde in einem eisernem Topf kochen.“ Das klang sachlich und überzeugend. In der Küche fand ich im Werkzeugkasten unter der Spüle eine Axt und ging damit aus dem Haus – auf der Suche nach dem richtigen Vogel. In drei Stunden erwartete ich die ersten Gäste, es war höchste Zeit, den Schnabel abzuhacken.

Wladimir Kaminer liest heute um 20 Uhr in der Dorotheenstädtischen Buchhandlung, Turmstr. 5, Moabit