Viele kleine Miles Davisse

Ohne großen Innovationsanspruch, solide konventionell, nicht zuletzt wegen Landgrens Charisma aber dankbar angenommen: Am Sonntag ging das Jazzfest zu Ende. Leiter im nächsten Jahr ist der Musikjournalist John Corbett

Auf einer abschließenden Pressekonferenz wurde gestern offiziell der neue JazzFest-Leiter für das nächste Jahr vorgestellt: der Musikjournalist John Corbett aus Chicago. So wie Nils Landgren ist auch er ein guter Bekannter von Joachim Sartorius, kommt aber aus einer ganz anderen musikalischen Richtung. Schon letzten Donnerstag angereist, war er hauptsächlich beim Total Music Meeting im Podewil präsent. Vor allem wegen des von ihm verehrten George Lewis, auf dessen Auftritt beim nächsten JazzFest man sich jetzt schon mal freuen kann.

Corbett machte kein Hehl aus seiner Begeisterung für das „Brötzmann-Massaker“ und seiner Ablehnung von allem, was auch nur entfernt nach Mainstream riecht. Jazz & Slam-Poetry kann er sich vorstellen, bei der Chicagoer AACM- und Bluestradition hält er sich erst mal zurück. Auf keinen Fall wird es ein reines „Chicago-Festival“ geben. Wie er sich letztlich mit dem „beratenden“ ARD-Gremium und den Veranstaltern einigen wird, bleibt abzuwarten. Seine Linie wird ihn in jedem Fall ein gutes Stück Überzeugungsarbeit kosten. Derweil ging Sonntagnacht das Landgren-Festival mit dem Quintett des Trompeters Roy Hargrove zu Ende.

Nach dem am Morgen noch von Familien besuchten Jazzmärchen nach der Vorlage der „Schneekönigin“ des dänischen Schriftstellers Hans-Christian Andersen eröffnete nachmittags der schwedische Trompeter Palle Mikkelborg die abschließende Konzertreihe im Festspielhaus. Mikkelborg wird von Landgren als der in Skandinavien einflussreichste Musiker bezeichnet und erwies sich als peinlich berührende Enttäuschung: als schlechte Kopie des 80er-Jahre-Miles-Davis hielt er seine Trompete in gebeugter Haltung nach unten, verstopfte seine Musik mit Verstärkern, Verfremdungseffekten und Samples, dass kaum Luft zum Atmen blieb, und rückte in napoleonischer Manier die Grenzen seiner Musiker zurecht. Dabei schloss er mit verzerrtem Gesicht die Augen auf der Suche nach dem Spirit. Sein indischer Bassist sang ein Gebet, das zum Popsong ausgewuchtet wurde, und die Harfenistin malte mit ihren Klängen sphärische Landschaften, die direkt einer Daily Soap entsprungen zu sein schienen. Nichts wurde ausgelassen. Trotzdem feierte das Publikum Mikkelborg stürmisch.

Ganz anders dagegen der junge norwegische Trompeter Goran Kajfes. Auch er machte am Freitagabend auf der Bühne des Tränenpalasts den Miles. Aber eher die 70er-Jahre im Geiste der Fillmore-East-Konzerte. Und obwohl auch Kajfes – genau wie Nils Petter Molvaer und der im Anschluss spielende Bugge Wesseltoft, E-Sounds und Verfremdungseffekte als Ausdrucksmedium einsetzte, fügte sich trotz Diskonebel und Lichteffekten alles zu einem harmonischen Ganzen.

Kajfes, der entspannteste aller vertretenen Musiker, hat gerade sein Debüt-Doppelalbum „Home“ herausgebracht. Ganz im Sinne des „Lounge & Chill Jazz“ Musik für drei Uhr morgens. Er sagt über sich selbst, er habe es nicht eilig. Dabei dreht er sanft seinen in Brooklyn erworbenen HipHop-Ring mit dem Namen seiner Frau Camilla. Den Abschluss des Festivals blies der 31-jährige Trompeter Roy Hargrove, der als 16-Jähriger von Wynton Marsalis in einer texanischen Highschool entdeckt wurde und seitdem als Wundertrompeter gilt. Er spielte mit sämtlichen Jazzgrößen und unter anderem auf den Alben von D’Angelo und Erykah Badu. Das Quintett, das durch die Schwerfälligkeit des Bassisten teilweise Längen hatte, bewegte sich in den konventionellen Grenzen der üblichen Soloabfolgen. Der wegen Leberproblemen beeinträchtigte Hargrove musste einige Male neu ansetzen, was er jeweils mit einem kurzen Fluch kommentierte.

Dann kam überraschend Landgren auf die Bühne und blies ein atemberaubend schönes Posaunensolo. Ein würdiger Abschluss für das allgemein und vor allem wegen Landgrens Charisma als Erfolg gewertete Festival, das den state of the art abbildete: ohne Innovationsanspruch, solide konventionell, aber dankbar angenommen.

MAXI SICKERT