Macht es besser

Nicht unter 30, nicht männlich und auch nicht im Osten geboren: Die Kreuzbergerin Sarah Schmidt ist die einzige regelmäßig lesende Frau auf den verschiedenen Berliner Vorlesebühnen

Sie schätzt die feste Gruppe. Diese ist ihr wichtiger als schneller Ruhm

von STEPHANIE GRIMM

Es passiert nicht oft, dass etwas Gutes dabei herauskommt, wenn man flüchtigen Bekannten im angetrunkenen Zustand mal so richtig die Meinung sagt. Bei Sarah Schmidt hat es zumindest einmal prima funktioniert. An einem Abend im Jahr 1995 fand sie die Qualität der Texte bei der Vorleseveranstaltung „Reformbühne Heim und Welt“ ausnahmsweise mal beschissen. Auf Sarah Schmidts „Ihr wart voll scheiße“ folgte ein trotziges „Mach’s doch besser“ der Reformbühnen-Crew und darauf wiederum ein noch trotzigeres: „Ja, mach’ ich auch“. Und so kam es: In der darauf folgenden Woche las sie zwei „bessere“ Texte vor, das Publikum freute sich, und Sarah wurde bald festes Mitglied der Reformbühne. Auf der Bühne zu stehen fand sie super, und so fing sie bald an, auch in Dr. Seltsams Frühschoppen ihre Geschichten vorzulesen.

Das war der Beginn von Sarah Schmidts Karriere als Autorin. Seit zwei Jahren lebt sie ausschließlich vom Schreiben und von den Lesungen. Sie veröffentlicht in der kleinen Zeitschrift Salbader, dem Organ der Reformbühne Heim und Welt, aber auch in der Zitty und in Tageszeitungen.

Sie freut sich noch immer über ihre ersten öffentlichen Gehversuche – das ist deutlich zu spüren, wenn sie darüber erzählt und dabei ziemlich viel lacht. Gerade ist sie von ihrem Job bei einer Fernseh-Comedy-Produktion gekommen.

Wir sitzen auf einem Restaurantboot am Urbanhafen. Es ist schon dunkel, aber noch erstaunlich warm für Spätoktober. Der Abend fühlt sich an wie einer, an dem sich selbst Alltägliches in Angenehmes wendet. Der Alltag ist auch das zentrale, immer wiederkehrende Thema bei Sarah Schmidt. Aus ihm Lustiges, Absurdes herauszukitzeln, das fällt ihr nicht schwer, das tut sie nicht nur beim Schreiben, sondern auch während unseres Gesprächs. Zum Beispiel, wenn sie über ihren 16-jährigen Sohn redet, der gerade sein freiwilliges ökologisches Jahr geschmissen hat. Das findet sie eigentlich überhaupt nicht komisch – je länger sie aber darüber redet, desto mehr filtert sie automatisch die lustigen Aspekte heraus.

Dass ihre Beobachtungen nicht zur nervigen Nabelschau werden – dafür sorgt, was Sarah Schmidt „ihre Gabe und gleichzeitig ihren Fluch“ nennt. Sie hat ihre Augen und Ohren gleichzeitig überall und muss allen Gesprächen zuhören, die um sie herum stattfinden. Manchmal ist das für sie anstrengend. Der Effekt auf ihre Geschichten aber ist klasse, weil sie dadurch wunderbar vielstimmig werden. Da kommen so schöne Sachen raus wie die Abhandlung über „Die Party im Wandel der Zeiten“, die in der Internetausgabe des Salbader nachzulesen ist. In dieser Geschichte hakt Sarah Schmidt diverse Partymodelle ab, vom Kindergeburtstag mit drei Kerzen bis hin zu der Party zum siebzigsten Geburtstag, bei der Oma wieder drei Kerzen hingestellt bekommt, „damit du es nicht so schwer hast mit dem Pusten“. Dabei demonstriert sie äußerst charmant, dass Altwerden genauso scheiße ist wie Jungsein.

Oder sie beschreibt in einer anderen Geschichte das „Kommando Flensburg“, was man als Nachgeborene auf dem 30-jährigen Gründungsjubiläum der APO Flensburg so erleben kann, aber nicht wirklich erleben möchte.

Seit langem ist Sarah Schmidt die einzige regelmäßig lesende Frau auf den verschiedenen Vorlesebühnen. Aber nicht nur ihr weiblicher Blick macht ihre Geschichten interessant. Sie hat auch einen völlig anderen Background als die meisten ihrer Lesebühnen-Kollegen. Sie ist aus Kreuzberg, nicht aus dem Prenzlauer Berg. Sie hat dort in den Achtzigerjahren Häuser besetzt und mit 19 ein Kind bekommen. Allein deshalb ist sie nicht der Prototyp des postkommunistischen Berliner Slackers, den man sonst so auf den Lesebühnen findet. Andere Klischees, etwa das der ewigen Kreuzbergerin, erfüllt sie ebenfalls nicht. Sie hat einfach ihr Leben gelebt, mal Sozialhilfe bekommen, mal rumgejobbt, ihr Kind groß gezogen, Verschiedenes ausprobiert und endlich etwas gefunden, das ihr Spaß macht und von dem sie leben kann.

Zurzeit liest Sarah Schmidt regelmäßig nur bei „Dr. Seltsams Frühschoppen“ in der Kalkscheune. Dort schätzt sie die feste Gruppe, eine Nachhaltigkeit, die ihr wichtiger ist als der schnelle Ruhm. Für den fällt sie aber auch zu offensichtlich durch das Raster der Literaturagenten, die in den letzten zwei Jahren die Lesebühnen durchforstet haben. Um bei dem Veröffentlichungsboom mit abzusahnen, sagt sie, hätte man „unter 30, männlich und im Osten geboren sein müssen“. Ein bisschen schade findet sie das schon – trotz angebrachter Skepsis gegenüber dem Medienhype um die Lesebühnen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden: Genug Material für einen Kurzgeschichtenband hat sie jedenfalls und auch ein paar andere Ideen.

Einen Krimi würde sie zum Beispiel gerne schreiben. Zur Abwechslung sollte der auch nicht im Berliner Alltag spielen. Da sie bisher gut damit gefahren ist, ihrem Glück nicht hinterherzulaufen, sucht sie für diesen Krimi auch nicht krampfhaft nach einer Agentur oder einem Verlag. Eher vertraut sie darauf, dass auch in Zukunft die wirklich lohnenswerten Sachen zu ihr kommen. Wenn man ihr so zuhört, kann man sich einfach nicht vorstellen, dass es anders kommen könnte.

Geschichten von Sarah Schmidt finden sich unter www.salbader.de und www.dr-seltsams-fruehschoppen.de