helmut höge
Durchs wilde Teppichland

Normalzeit
Farbläden und Heimwerkermärkte boomen. Denn der Berliner bastelt

Auf der Internationalen Funkausstellung schwärmten alle von der neuen Digitaltechnik – zum Beispiel auch Fernsehchef Pleitgen, obwohl er auf Nachfrage zugeben musste: „Warum die besser als die alte ist, kann ich Ihnen auch nicht sagen!“

Was die damit „arbeitenden“ Journalisten betrifft, so wurden aus ihnen in einem ersten Anlauf (in den USA) besser bezahlte Arbeiter, wobei die Selbstständigen sich dazu den Nimbus der Privatdetektive entliehen, dann entwickelten sie sich jedoch zu wirklichen Gutverdienern. Jetzt aber schlägt das Imperium zurück: Im Endeffekt werden sie nur noch Bediener der Technik sein – also die Wetware von Hard- und Sofware – beziehungsweise bei den Printmedien Betreuer von Formaten, gleichzeitig degradieren die Autoren zu Format-Füllern.

Während der Intelligenz so – technikkritisch – die Inhalte verdampfen, können sich die Handarbeiter immer noch an allen technischen Neuerscheinungen hoch erfreuen: „Ich habe mir eine Wochenkarte gekauft – und dann die IFA Halle für Halle durchgekämmt“, sagt so einer in der U-Bahn.

Unter mir wohnte mal ein Fernsehtechniker, der sich die teuerste Hifi-Quadrophonia-Anlage zusammengekauft hatte mit riesigen Boxen. Er besaß dafür aber nur einige Testschallplatten – Musik interessierte ihn nicht. Und nebenan lebt ein LKW-Fahrer, der zwar kaum Technik besitzt, dafür jedoch alle IFA- und Saturn-Kataloge sammelt und in Ordnern abheftet.

Beim Stern gibt es einen Redakteur, der für die Einrichtung seines Hobbybastelkellers 250.000 Mark ausgab – und dort aber nur Holzbrotteller herstellte. Es geht vielen Kunsthandwerkern und Bastlern so, dass sie sich erst mal beim Einrichten verausgaben – und zum Beispiel für die Herstellung von Silberschmuck eine halbe Kunstschmiede anschaffen oder sich für bunte Gürtel eine komplette Lederwerkstatt zulegen. Auch mit Seilwinden ausgerüstete Oberlichtateliers, die stark nach Ölfarbe riechen, sind immer noch sehr beliebt.

Dementsprechend boomen die Farbläden und Heimwerkermärkte; vor dem „A-Z“ kommt es regelmäßig zur Männerschlangenbildung; und die Autoersatzteil-Ladenkette „Tip“ – Magnet aller Samstagsschrauber – breitet sich krebsartig in Berlin aus. Es gibt nicht nur ein starkes Interesse an technischen Neuerungen, sondern auch am Basteln. Den Erfolg von Ikea-Möbeln zum Selbstzusammenbasteln würde ich darauf zurückführen, dass der Konsum immer mehr Elemente der Produktion aufnimmt, dazu gehört auch der Erfolg der Erdbeer- und Blaubeerplantagen zum Selbstpflücken sowie die Langlebigkeit der Überraschungseier.

Zudem stellt die Industrie immer mehr Systemprodukte her, mit denen man etwa selber Gas-Wasser-Heizung installieren oder das Bad kacheln und den Teppichboden verlegen kann – und so die entsprechenden Handwerker spart. Schon haben die Heimwerkermärkte die meisten Handwerkerläden an die Wand gequetscht.

Während die Produktion langsam, aber sicher hinter dem Horizont (in den Billiglohnländern) verschwindet, wächst hier der Drang, sich handfest zu beschäftigen. Und sei es, dass man sich einen Swimmingpool auf seinem Datschengrundstück baut oder alljährlich die Einfahrt zur Garage aufreißt und mit einem neuen Belag versiegelt.

In den Vororten plündern die grünen Witwen derweil die Familienkonten, um aus ihren märkischen Kleingärten preiswürdige Superbiotope zu zaubern – die Großgärtnereien des Umlands verzeichnen Rekordumsätze. Und so mancher „Garden-Consultant“ hat in seinem Kundinnennetz bereits das Glück gefunden.

Ob die Umbennnung des Bestattungsunternehmers in „Funeral-Master“ den Trend stoppen wird, dass sich immer mehr Leute ihre Särge oder Urnen selber basteln beziehungsweise tonkneten, bleibt jedoch abzuwarten. Neben Sarg, Eigenheim und Datsche kann auch eine Segeljolle zur Quelle unaufhörlicher Veränderungen, Verbesserungen und Reparaturen werden. Manche können sogar jahrelang an ein und demselben Text basteln.