Von Bin Ladens Gnaden

aus Genf ANDREAS ZUMACH

Allein einer ausgesprochen ungewöhnlichen Interessenkoalition zwischen dem WTO-Generalsekretär, Katar, den USA und Ussama Bin Laden ist zu verdanken, dass das am Freitag beginnende Treffen der Welthandelsorganisation (WTO) in Katar überhaupt noch zustande kam – trotz schwerwiegender Sicherheitsbedenken der USA und auch in der Genfer WTO-Zentrale.

Der WTO-Generalsekretär Mike Moore, dessen Amtszeit zum Jahresende ausläuft, will sich mit der ganz wesentlich von ihm vorbereiteten Ministerkonferenz für ein Regierungsamt in seiner Heimat Neuseeland profilieren. Wäre die Konferenz in Katars Hauptstadt Doha abgesagt worden, hätte dies eine zeitliche Verschiebung mindestens bis ins Frühjahr nächsten Jahres bedeutet, da sich kein alternativer Veranstaltungsort mehr hätte finden lassen.

Was Katar will ...

Die Regierung von Katar wiederum erhofft sich von der WTO-Tagung, zu der neben knapp 4.000 offiziellen Delegierten rund 600 NGO-Vertreter und 700 Journalisten erwartet werden, einen erheblichen Prestigegewinn als Veranstaltungsort für künftige internationale Konferenzen sowie einen Aufschwung im Tourismus. Nach den Demonstrationen und Straßenschlachten bei der dritten WTO-Konferenz 1999 in Seattle hatte sich Katar als einziger der 142 WTO-Staaten zur Ausrichtung der vierten Ministertagung bereit erklärt. Skeptische Fragen nach der Sicherheitslage sowie den Fähigkeiten und der politischen Zuverlässigkeit von Polizei und Armee haben Emir Khalifa al-Thani und andere katarische Gesprächspartner empört als Beleidigung des Islam zurückgewiesen.

Umfangreiche und detaillierte Gründe für diese skeptischen Fragen wurden der Bush-Administration nach dem 11. September von der CIA und anderen Geheimdiensten vorgelegt. Nach deren Erkenntnissen „operieren“ in Katar „zahlreiche Al-Qaida-Zellen“. Die zu 90 Prozent aus Jemeniten bestehende Armee sei „von Terroristen infiltriert“ und „politisch unzuverlässig“. Der pyramidenförmige Turm des Sheraton-Konferenzhotels in Doha biete „ein ähnlich exponiertes Ziel für Flugzeugattacken“ wie das World Trade Center in New York. Auf Grund dieser Erkenntnisse warb der für die WTO zuständige Handelsminister Robert Zoellig bereits ab September hinter den Kulissen intensiv um einen alternativen Konferenzort. Genf winkte ab, weil die Schweizer Regierung Angst vor Demonstrationen wie in Seattle hatte. Singapur wäre unter Umständen bereit gewesen.

Was die USA wollen ...

Doch nach Beginn der Luftangriffe gegen Afghanistan am 8. Oktober wuchs in der Bush-Administration die von Katars Regierung kräftig geschürte Befürchtung, eine Absage der Doha-Konferenz gefährde die ohnehin sehr wackelige Unterstützung, die die internationale Anti-Terror-Koalition in der arabischen und der islamischen Welt hat.

Was Bin Laden will ...

Aber auch die Urheber aller Sicherheitsbedenken, Ussama Bin Laden und das Al-Qaida-Netzwerk, mussten eigene Interessen bedenken. Der Emir hatte gedroht, den Fernsehsender al-Dschasira zu schließen, sollte es vor oder während der WTO-Konferenz zu terroristischen Anschlägen kommen. Über al- Dschasira werden die Erklärungen Bin Ladens und al-Qaidas verbreitet. Zudem könnten sich terroristische Anschläge in einem islamischen Staat kontraproduktiv für sie auswirken.

So kam es nach der taz zugegangenen, übereinstimmenden Informationen aus diplomatischen Kreisen der USA, Pakistans und Katar sowie aus der Genfer WTO-Zentrale dazu, dass Zusicherungen Bin Ladens von den Regierungen und Geheimdiensten Katars und Pakistans an die Bush-Administration übermittelt wurden: Das mutmaßlich von ihm geführte Al-Qaida-Netzwerk werde vor und während der Konferenz keine terroristischen Anschläge in Katar und anderen Golf-Staaten (Bahrein, Oman, Vereinigte Arabische Emirate, Saudi-Arabien) verüben.

... nützt dem WTO-Treff

Die Entscheidung fiel schließlich am 20. Oktober. In einem Telefonat mit US-Vizepräsident Richard Cheney versicherte Emir al-Thani nicht nur erneut, man habe die in Katar lebenden potenziellen Al-Qaida-Symphatisanten „jederzeit voll unter Kontrolle“. Der Emir bekräftigte in dem Telefonat auch die zuvor bereits vom pakistanischen Geheimdienst an die CIA übermittelte Zusicherung Bin Ladens zu einem Verzicht auf Anschläge vor und während der Doha-Konferenz. Daraufhin versprach Cheney – gegen den Rat von Handelsminister Zoellig – dem Emir die Teilnahme einer hochrangigen US-Delegation. Zwei Tage später verkündete WTO-Generaldirektor Moore, die WTO-Konferenz werde definitiv und in Doha stattfinden, vorausgesetzt, es gäbe keine weiteren „Erschütterungen und Katastrophen“ mehr. Große Sorgen herrschen aber weiterhin bei den MitarbeiterInnen der Genfer WTO-Zentrale, die inzwischen scharfe Kritik an Generaldirektor Mike Moore üben wegen seiner „völlig unverantwortlichen Informationspolitik“ hinsichtlich der Sicherheitslage in Doha.

Auch die Bush-Administration will sich nicht völlig auf die gemachten Zusicherungen verlassen. Sie weiß zudem nicht sicher, ob Bin Laden tatsächlich alle eventuell in Katar oder in den Nachbarstaaten operierenden Al-Qaida-Leute unter Kontrolle hat. Deshalb bemüht sich die Regierung in Washington um Risikominderung zumindest für die eigenen Staatsbürger. Seit dem 20. Oktober werden Kongressabgeordnete, Wirtschaftsvertreter und Nichtregierungsorganisationen, die ursprünglich für Doha angemeldet waren, hinter verschlossenen Türen detailliert über die Erkenntnisse der Geheimdienste zur Sicherheitslage in Katar informiert sowie über die vorgesehenen drastischen Sicherheitsmaßnahmen (siehe Kasten). Inzwischen haben fast drei Viertel der US-BürgerInnen, die noch nach Doha reisen wollen und dort vor eventuellen Terrorakten geschützt werden müssten, entschieden, zu Hause zu bleiben.