Bremen, eine Fußnote

■ Der vertriebene Bremer Jude Fred Johnson ist nun als Zeitzeuge zurückgekehrt. Morgen berichtet der Physiker über sein Leben

„28 Männer der Bremer jüdischen Gemeinde sind im Ersten Weltkrieg gefallen“, erinnert sich Fred Johnson. Die Tafel in der einstigen Synagoge in der Gartenstraße mit den Namen der gefallenen Gemeindemitglieder hat er heute noch vor Augen. Aber auch die Thorarollen, wie sie am Morgen nach der Pogromnacht auf dem Pflaster vor dem noch qualmenden Gotteshaus im Schnoor lagen. In dieser Nacht vom 9. November 1938 hatten die Nazi-Horden fünf Bremer Juden ermordet.

Der Vater des damals zwölfjährigen Jungen Manfred Grünberg, des heutigen US-amerikanischen Staatsbürgers Fred Johnson, konnte den Nazis in einem Versteck entgehen. Unterdessen erlebten der kleine Manfred und seine Großmutter, wie ihr Haus in der Langemarckstraße 149 verwüstet wurde. Vergeblich hatte die Großmutter den Nazis entgegengehalten: „Wie können sie so was machen. Mein Sohn war doch ein Frontkämpfer.“ „Da waren wir endgültig gewarnt“, sagt Johnson. Wenig später gelang der vierköpfigen Familie Grünberg die Ausreise nach England. Brüder der Mutter hatten gebürgt. „Ich glaube, wir gehörten zu den letzten aus dem engen Familienkreis, die noch auf diesem Weg rauskamen“.

Der Sohn der Grünbergs, der mit der amerikanischen Staatsbürgerschaft 1952 den Namen Johnson annahm, ist nun zurückgekommen. Im Rahmen der Ausstellung „Das jüdische Leben in der Bremer Neustadt während der NS-Zeit“ wird er am Donnerstag als Zeitzeuge über seine Erinnerungen an Bremen berichten: Über die Schulkameraden aus der sechsten Klasse, die gemeinsam über ihn herfielen – wo sie ihn kriegen konnten. „Ich bin dann einen anderen Schulweg gegangen.“ Über die Kappe, mit der auf dem Kopf er in der Straßenbahn den Hitlergruß vorführte – „um nicht als Jude erkannt zu werden“. Über das Leben nach der Flucht mit dem seelisch zerstörten Vater, der Mutter, die die Familie mit Heimarbeiten über die Runden brachte und über die Zeit im englischen Lager – „wo wir als Deutsche interniert wurden“. Johnson wird auch darüber sprechen, welchen Verlust sich Deutschland mit der vieltausendfachen Vertreibung und Ermordung seiner jüdischen Bürger selbst zugefügt hat. „Das hört sich vielleicht unbescheiden an“, sagt er. „Aber die deutschen Juden haben viel geleistet.“ Dann lächelt er ironisch. „Heißt es nicht: Bescheidenheit ist eine Zier. Weiter kommt man ohne ihr?“

Fred Johnson ist selbst weit gekommen. Zuletzt hat der Physiker als Professor an der California State University gelehrt. Forschen tut er bis heute. Von einer privaten Teleskopstation bei San Diego aus beobachtet er die Sterne. Allein dreißig Jahre seines Lebens und seiner Forschung hat er – teilweise durch die Nasa finanziert – damit verbracht, „ein, nein zwei Moleküle“ aufzuspüren, die Aufschluss über Signale aus dem Weltall geben. So zog er Rückschlüsse auf die Entstehung des Universums.

„Das Sonnensystem funktioniert anders, als alle glauben“, sagt der Physiker heute. „Ich kann erklären, wie das Leben angefangen hat.“ Das Buch, an dem der Forscher geistig schon arbeitet, soll „Paradigmenwechsel“ heißen. Das wäre sein Lebenswerk, in dem Bremen allenfalls die Rolle einer Fußnote zukommt. An der Stelle, wo die biographischen Daten erscheinen, könnte vielleicht vermerkt stehen, dass der Sohn des aus Bremen vertriebenen Altwarenhändlers Grünberg der Welt als Physiker nützlicher war, als als Firmenerbe.

„In England bin ich sofort Klassenprimus gewesen“, erinnert sich Johnson. „Obwohl ja alles in Fremdsprache ablief.“ In einer Sprache, die ihn nie mehr losgelassen hat. Schließlich puzzelt Johnson seit über 60 Jahren auf Englisch an den universellen Rätseln dieser Welt – was ihn vielleicht so verständnisvoll gegenüber denjenigen macht, die nun Fragen an ihn haben. Fragen nach seiner Lebensgeschichte, danach, was Flucht und Verfolgung aus einem Elfjährigen werden lassen – oder wie man ins Land der Täter zurücckehrt.

Eva Rhode

Morgen um 20 Uhr spricht Fred Johnson im Gemeindehaus der St. Pauli Gemeinde, in der Großen Krankenstraße 11. Dort ist bis zum 23.11. auch täglich von 11 bis 17 Uhr die Ausstellung zu sehen. Weitere Informationen unter www.stadtteilgeschichte.de