Prozess der vielen versteckten Hintergründe

■ Nach 15 Jahren begann der Prozeß um den Mord an Kürsat Timuroglu

Es wird ein außergewöhnlicher Prozess, über 15 Jahre danach: Augenzeugen sind inzwischen tot, sodass ihre Angaben nur verlesen werden können. Die Polizei- und Ermittlungsbeamten können sich kaum erinnern, sodass auch ihre Berichte vorgetragen werden müssen. Der mutmaßliche Todesschütze Fazit Aycan, damals ein Kader der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), der den linken Türken Kürsat Timuroglu erschossen haben soll, erscheint heute eher im Gewand eines unpolitischen Geschäftsmannes. Er guckt gelangweilt emotionslos, als das Gericht 20 Minuten lang die Obduktionsprotokolle über Einschusskanäle und die tödlichen Hirnverletzungen verliest. Auch die Witwe und Nebenklägerin Nilgun Timuroglu zeigt im Saal kaum emotionale Regungen. Seit gestern versucht der Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts, Licht ins Dunkel der Hinrichtung des Führungsmitglieds der türkischen „Dev Yol“ (Revolutinärer Weg) zu bringen.

Die Bundesanwaltschaft geht in der Anklage davon aus, dass Aycan den Mord auf Weisung der Europaführung der PKK verübt habe, die zu einer „nicht mehr feststellbaren Zeit“ erfolgt sei. Aycan selbst macht keine Angaben „im engeren und weiteren Sinn“, verkündet sein Promi-Anwalt Johann Schwenn. Im Mittelpunkt des Mammut-Verfahren steht daher weniger der kriminalistische Aspekt als die politischen Hintergründe.

Der Mörder hatte sein Opfer vom Cafe Bensen aus beobachtet. Am 25. Februar 1986 gegen 11.45 Uhr stürmte er vom Cafe aus auf die Stiftstraße in St. Georg und feuerte auf den vorbeikommenden Kürsat. Bereits angeschossen versuchte Kürsat in einen Gemüseladen zu flüchten und brach dort zusammen. Aus nächster Nähe schoss der Täter ihm dreimal gezielt in den Kopf.

Im Cafe hinterließ er Fingerabdrücke an einer Tasse, einem Schnapsglas und einer Jägermeis-terflasche sowie an der Klinke zum Klo. Auch dass ihn eine Augenzeugin vom Balkon beobachtete und erkannte, störte ihn nicht. Die Beobachterin erkannte den Täter später auf einem Video wieder, das bei dem Trauenmarsch nach dem Mord an den Türken Ramazan Avci aufgenommen worden war.

Trotz der Identifizierung verliefen die Ermittlungen jahrelang im Sande. International wurde nach diesem Bild ohne Namen gefahndet. Erst als 1993 ein anonymer Brief bei der Hamburger Polizei aus Kreisen der PKK eintraf, bekam das Bild einen Namen: Fazit Aycan. Nach der Tat habe er in einem PKK-Ausbildungslager im Libanon die Tat zugeben, offensichtlich hatte aber der Anschlag dem Hamburg-Chef der Dev Yol, Taner „Mehmet“ Akeam, gegolten, der zeitweilig bei Kürsat wohnte.

Bevor Aycan im September 2001 in Kroatien verhaftet wurde, lebte er seit 1990 in der Türkei unbehelligt in Saus und Braus – ungewöhnlich für einen PKK-Kader. Und auch nach der Festnahme bemühte sich die Türkei, einer Auslieferung nach Deutschland durch eigene Begehren zuvorzukommen. Insider schließen daraus, das Aycan als V-Mann für den türkischen Geheimdienst MIT tätig war. Bleibt die Frage seit wann. Von Dev Yol wurde die PKK wegen ihrer Gewaltpolitik gegen PKK-Dissidenten von Anfang an verantwortlich gemacht. Nach zuerst halbherzigen Dementis hatte sich ein PKK-Europavertreter in einem Gespräch mit der taz hamburg im März 1986 von dem Mord distanziert und den Geheimdienst MIT verantwortlich gemacht. Es habe zwar mit Kürsat „tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten“ gegeben, Gewaltaktionen gegen Kritiker seien aber für den kurdischen Kampf kontraproduktiv. Kai von Appen